31. Oktober 2010

Digital ist besser


Verehrte LeserInnen, ich habe zu feiern heute. Das ist der 100. Post. Und wie könnte dieser besser zu feiern sein, als mit DEM Tocotronic Zitat im Titel?
"In einer Gesellschaft, in der man bunte Uhren trägt// In einer Gesellschaft//wie dieser// bin ich nur im Weg" so hieß es 1993 und obwohl ich zu diesem Zeitpunkt gerade mal fünf Jahre alt war, schluchze ich nostalgisch ob meiner vergangenen und untrennbar damit verbundenen Jugend, wenn ich das gleichbetitelte Album höre. Ich entdeckte und hörte es exzessiv mit 15 und 15 ist ja auch fast wie 5, aus heutiger Perspektive betrachtet. Verbunden bin ich zeitgenössisch trotzdem auch mit dem Song, denn auch ich trug Mitte der 90iger tatsächlich noch eine Digitaluhr, eine gelbe Baby-G-Fälschung, über die alle lachten, weil sie erstens im Vergleich zu meinem Arm riesig war, und ich sie zweitens verkehrt herum trug.
"Digital ist besser" ist aber auch ein Titel, der zum heutigen Tag sehr gut passt, denn gestern Nacht war die Zeitumstellung und natürlich hatte ich das wieder einmal vergessen, doch diesmal wars echt super, denn so kam ich heute pünktlich und wundervoll vorbereitet zum Theaterworkshop. Zusammen mit der unbeschreiblichen Melancholie am Vormittag, die mich ergriff, als ich passend zum Anlass auch den Tocotronic Song "Die Welt kann mich nicht mehr verstehen" hörte, mit den Zeilen "Und ich weiß nicht genau, ob es so etwas gibt, und ob es an der Zeitumstellung liegt", die für mich ganz dicht in Verbindung stehen, mit Sportstunden, vor denen ich mit einer meiner besten Freundinnen "You don't know Jack" spielte, willentlich zu spät kam, auf dem Weg besagten Song hörend und dann frech mit von der Wegzigarette heiserer Stimme entschuldigend: "Naja, die Zeitumstellung...", ließ mich dieser Umstand heute beinahe eine ungetrübt heitere Preisung der Zeitumstellung als Motivator und Erinnerer schreiben, hätte da nicht meine jetzige Armbanduhr mir nicht nur metaphorisch einen Strich durch die Rechnung, ähh, das Ziffernblatt gemacht, in dem sie heute sagte: "Digital ist besser!" und den Sekundenzeiger gegen 12 Uhr mittags wüst ins Uhrwerk warf. Ich betrachtete ihn erst eine Weile verblüfft, ließ ihn noch ein bisschen Reisen in der faszinierend kreisrunden Landschaft der Zeit im 12 Stundentakt, um dann festzustellen, dass das zum einen doof aussieht und ich zum anderen die Möglichkeit haben will, in langweiligen Vorlesungen das verdammte Schleichen der Zeit zu visualisieren.
Ich werde also demnächst neben dem Sparen auf einen neuen Rucksack und eine Winterjacke ebenso eine Digitaluhr einplanen müssen, und um mit einer schönen Casio mit silbernem Armband nicht den Hipsterverdacht zu erregen, wird es vielleicht eine pinkfarbene Baby-G werden. Alles, was hässlich ist, ist nicht ganz so hässlich, ist es pink. In diesem Sinne: Happy 100!

Bloody Marian

Es ist die Nacht vor Halloween und es ist Samstagabend und natürlich sah ich in der U-Bahn gerade dutzende von Menschen, mehr oder minder betrunken, mehr oder minder schrecklich verkleidet, on the way to the best parties in town. Natürlich habe ich selbst Kopfschmerzen und bin bereits auf dem Weg nach Hause. Aber ich habe gerade Julie Miess, Bassistin (Lassie Singers, Britta, Jens Friebe), Sängerin (I.M. Monster) und Doktor der Literaturwissenschaft aus ihrer Dissertation zum Thema "Neue Monster. Postmoderne Horrortexte und ihre Autorinnen" lesen hören, und es gab anschließend eine Diskussion, in der die allgegenwärtige Twilightsaga, Metalfrauen sowie so einiges anderes Schreckliches thematisiert wurde und auch Jens Friebe mitmischte und da ich nebenbei Bloody Mary trank, war also auch ich gut unterhalten, gehorrort und alkoholisiert.
Ich dachte ja nun schon seit längerem, dass jene Frauen, die sich um Christiane Rösinger und Jens Friebe formieren, das klügere und gleichzeitig furchtbar riotgrrrrlige feministische Gesicht der letzten beiden Jahrzehnte "hier" abbilden, aber dass es die von Jens Friebe in seinem Ausgehtagebuch "52 Wochenenden" als Dr. Miess bezeichnete nun tatsächlich zum Doktortitel gebracht hat, das erfüllt mich mit tiefer Freude. Ist das nicht DER neue Traumberuf? Hauptberuflich Bassistin und nebenbei Monsterforscherin? Das nenn ich mal ikonenhaft!
In Zeiten als ich noch speckig vor mich hinpubertierte und mir die Enge der Provinz tiefgehende Gefühle verbat, erschien mir das Leben der Heldinnen in Marian Keyes Romanen als das Erstrebenswerteste für meine Zukunft. Meistens flohen sie ebenfalls aus einer kleinbürgerlichen, beschränkten Welt (die oftmals Dublin war übrigens, nicht etwa Hof/Saale)in die große, aufregende, offene Stadt (so gut wie immer: London). Dort verstritten sie sich dann mit ihren Freundinnen und ihrer Familie, verliebten sich unglücklich und andersherum, gingen Sonntags Curry essen, verfielen der Drogensucht,trugen hübsche Schuhe und clubbten. Ich weiß nicht, irgendwie fühlte es sich für mich beim Lesen so nach Leben an und ich dachte, das Glück käme mit dem Leben.
Dann zog ich selbst von Hof nach Berlin, verstritt mich mit Freundinnen und Familie, verliebte mich unglücklich und andersherum, verfiel Zigaretten und Alkohol, ging Sonntags Gözleme essen, trug weiterhin hübsche Schuhe und clubbte. Und es fühlte sich tatsächlich an wie Leben und war daher schon mehr Glück als die Vorstellung davon vorher. Doch je weiter der Horizont wurde, auch durch all das (man mag urteilen, wie man möchte, für mich ist die Macht des lebendigen Lebens nicht zu unterschätzen), desto mehr fragte etwas in mir nach Antworten, auf die Frage: Was mach ich denn jetzt nun, jetzt wo ich tatsächlich merke, dass der Körper, der an mir dranhängt, lebt? Wo führt das Menschsein denn nun hin, wo ich merke, dass ich Mensch bin? Irgendwie hatte Marian da schon eine Antwort gefunden, mit der sie die starke-Frauen-Single-Literatur begründete: Du darfst zwar ne Weile irrig suchen, aber glücklich wirst du clean und mit Mr. Right. Das ist das wahre Leben. Ein ähnliches Rezept verfolgte ja auch Sex and the City: Geh in die große Stadt. Verlieb dich. Sei finanziell unabhängig und spiel ein Weilchen rum, aber glücklich wirst du mit dem Einen und um so besser, hat er die Kohle für ein Appartement, das größer ist als deins. Am Leben ist man, um eine Weile umtriebig zu sein und dann durch den neu gewonnenen Frieden in Form von Gesundheit, Zweisamkeit und finanzieller Sicherheit all die gewonnene Lebendigkeit wieder wegzuwerfen? Nein, nicht mit mir!
Ich fühl das Blut in mir rauschen und das Herz pochen, ich lauf durch die Straßen und bin neidisch, mitleidig, verliebt, verbittert, frierend, erwärmt, verbandelt, vereinsamt, isoliert und integriert. Ich hab keine Ahnung, wo ich hin möchte, aber wer sagt denn, dass ich das muss? Wer hat sich das eigentlich ausgedacht, dass man irgendwann all das innere Flirren, den Unrast, die Zweifel, die Brüchigkeit, das Lernen und das Verwerfen zu Gunsten eines Seelenfriedens aufgeben soll? Das war bestimmt der selbe, der auch das verdeckelte, verkaufsfertige Glas Wein im Supermarkt erfand. Soll mir mal jemand nen Seelenfrieden zeigen, in dem man noch wird und intensiv fühlt und vielleicht lass ich mich zu dem Mist dann auch noch überreden. Ansonsten trink ich weiter aus der Flasche.
Mit dem aufregenden Glanz von Glamour und neuer Weiblichkeit ködern sie uns und locken uns ins altbackene Hausfrauendasein, nur mit eigenem Geld diesmal. Unter der sympathisch-witzig-verkorkst-weiblich-selbständigen Fassade luken bei näherem Hinsehen repressive, schubladisierende Verkörperungen von "Frauen" jenseits einer wirklich sympathischen grenzenlosen Menschlichkeit. Obacht, denn patriarchale Strukturen können ebenso auf High-Heels daherkommen, wie selbstbestimmte Frauen und Männer.
Will sagen: Doktor in Monsterforschung und Bassistin wird es sich leichter in der großen Stadt; Heiraten, Kinder kriegen, Kleider kaufen, kannst Du auch auf dem Dorfe.

28. Oktober 2010

To Puke

Ganz berückend war es, als mir gestern in nonmuttersprachler Englisch erzählt wurde, man hätte einst von seiner Französichlehrerin gelernt, dass "bleu" so ausgesprochen würde, als würde man auf Englisch "blue" sagen wollen, "only that you say it like you puke."
Ob dies, wie im weiteren Verlauf des Gesprächs gemutmaßt wurde, für die gesamte Aussprache aller französischen Wörter gelte, sei nun dahingestellt oder ausprobiert. Ich jedenfalls musste mich nicht puken, denn ich war maßvoll in der vielleicht etwas stillosen und geschmacklich etwas gewagten Mischung aus Arak und Glühwein. Andere waren es nicht so, und so bleibt vom Abend neben dem obligatorischen geistigen Familienfoto vor allem die Erinnerung an "Die Moritat von Mackie Messer" in Hebrew, der Geschmack von süßem Alkohol, Spinatlasagne, Peanutbutterchocolatemuffinscupcakebrowniewhatevermakesyoufatsomethings und dem Hauch einer Ahnung, dass die Melancholie des Abschieds ein immer vertrauteres Gefühl wird, in einem unwurzeligen Großstadtleben.

26. Oktober 2010

Sich verkalkulieren...

Um zwei Minuten und dann ne halbe Stunde zu spät sein.
Aber das macht ja alles nichts.
Ich bin ja pragmatisch geworden.
Hehe.
Über all dem ganzen Kopieren, lesen, da sein, anwesend sein,
bleibt noch Zeit, ein Zigarettchen zu rauchen,
zu plaudern
und zu Kaffeeeeeeeen.
Und für ein bisschen Sympathie- und Herbstglück.
Pausieren.
Und doch ziemlich fertig sein am Ende des Tages.
Da ich heute recht amüsant über Anglizismen belehrt wurde,
verwundert es mich gar ein wenig, dass dieser Text keinen einzigen enthalten möchte.
Dafür frage ich mich, ob es euch auch so flasht, mit nem neuen Füller zu schreiben und ihr plötzlich alles mitschreibt.
Wahrscheinlich müsste ich mir jeden Monat nen neuen Füller kaufen.
Fick dich, VDS-ev!

25. Oktober 2010

Beauvoir, Auslieferung und Sprachlosigkeit.

Einer lieben Freundin sagte ich gerade ein Telefonat ab, denn ich sei nicht mehr ansprechbar.
Das stimmt auch und so werde ich heute auch mit den Worten anderer sprechen.

Zugpersonal: -Wegen spielender Kinder auf den Gleisen verzögert sich die Abfahrt. Ich werde sie informieren, sobald ich näheres weiß.

Frau mit starrem Blick und blondierten Locken: -Im Flugzeug geht alles immer seine Ordnung. Im Zug ist man dem immer völlig ausgeliefert.

Simone de Beauvoir: -"Diese Straßen verströmen eine traurige Poesie, die ich unendlich liebe" (als Chantal)

Zugpersonal: -Wegen spielender Kinder auf den Gleisen verzögert sich der Betriebsablauf. Bitte haben Sie Geduld."

Frau mit Journal "Landlust" und Louis Vitton-Taschen: -(stöhnend) Nett.

Chantal: -Für solche Geschöpfe ist das Menschsein zu brutal. Man möchte sie darüber hinwegtrösten, dass sie geboren wurden.

Zugpersonal: -Verehrte Fahrgäste, die spielenden Kinder auf den Gleisen spielen immer noch.

Oma: -Woher kommst du denn?

Beauvoir: -"Ich würde Desinfektionsmittel kaufen". (als Andrèe)

Zugpersonal: -Verehrte Fahrgäste, willkommen im ICE von Hamburg Hauptbahnhof nach Berlin Hauptbahnhof. Wir haben momentan eine Verspätung von 54 Minuten und ich entschuldige mich für die Verzögerungen im Betriebsablauf."

24. Oktober 2010

Hamburg oder Apfelwein oder Glühwein oder so.

Es ist ja nun einmal kalt in Deutschland, zur Winterzeit auch im Wetter gespiegelt. Ab August trug ich den Mantel, ab September die Mütze, ab Oktober die Stiefel ergo ist Winterzeit und Glühwein wurde auch schon getrunken. Der kam aus Nürnberg, das ist in Süddeutschland, gekauft wurde er allerdings in Hamburg, also Norddeutschland, doch geschneit hat es zuerst in Hof, also Süddeutschland.
Besser als Glühwein ist Apfelwein, den kenne man aus Franken, das hat man mir in Berlin gesagt. Ich kenne ihn aus Franken, da heisst er Cidre, und ich weiss nicht mehr, wer mir das gesagt hat, zuerst.
Da trinkt man ihn so in Gläsern wie Wein, und das ist ganz schön eigentlich.
In Berlin, da kennt man ihn plötzlich als Strongbow Cider und in Hamburg als Fichtekranz. Ersteres trinkt man in der Flasche und es sieht aus wie ein Mädchenbier; letzteres sieht aus wie Bionade-Aloha-dingsbums Verschnitt und ist in drei Geschmacksrichtungen erhältlich.
Eigentlich ist alles Cidre, lieblich, trocken, halbtrocken. Aber wie Brecht an Hacks schrieb: "Gute Menschen sind überall gut", als dieser ihn aufforderte, nach Berlin zu kommen, so sage ich: Apfelwein ist überall gut. Ob in der Flasche oder im Glas und darüber hinaus klingt Strongbow schön, und Fichtekranz hat den Slogan: "Apfelwein von glücklichen Äpfeln" und das ist doch nun wirklich sehr nett.
Irgendwie schmecken ja Pfannkuchen auch fast wie Pancakes und Eierkuchen klingt fast wie Pfannkuchen und Berliner sind auch als Krapfen oder Pfannkuchen ekelhaft. Ob mit Erdbeeren- oder Hievenmarmelade. Und wissen Sie nicht, was Hievenmarmelade ist, so setzen Sie sich doch einmal mit jemandem aus Franken in eine Kneipe, in ein Wirtshaus oder so, und wenn Sie nichts mehr zu reden haben, können Sie ja fragen, was es heisst. Wenn dann wieder eine Gesprächspause herrscht, dann fragen Sie doch nach der Zeit. Ich meine die auf der Uhr.
Und so vergeht der Abend und am nächsten Tag können Sie dann nach einer von Langeweile durchzechten Winternacht in Ruhe butzeln. Butzeln, das kommt aus Sachsen, das ist Mitteldeutschland oder so, und das bedeutet: Faul im Bett liegen bleiben, in einem Zwischenzustand aus Schlaf und Wachheit, und ich glaube, es gibt dafür weder eine hochdeutsche noch eine norddeutsche, noch eine süddeutsche Entsprechung, denn:
Gute Menschen butzeln überall gut.

20. Oktober 2010

In den leeren Zügen.

Ich bitte Sie, Joanna Newsoms "Bridges and Balloons" einzustellen.
Klicken Sie auf diesen
Link
wenn Sie mögen.
Sie sitzen in einem leeren Zug. Richten Sie es ein, dass der Zug wirklich leer ist. Also, nicht nur so, dass Sie gerade einmal eine Sitzgruppe für sich beanspruchen. Vielleicht sind ja nicht einmal Sie selbst da.
Und vielleicht auch, dass es dunkel ist und eine kalte Jahreszeit.
Dass sie eine Stadt von oben sehen.
Sie werden nicht verstehen. Eine Stadt von oben im Zug?
Naja, ich meine, so von Brücken, die altbekannten Stadtfragmente. Straßenzüge, Bahnen, Autolichter, Häuserschluchten...
Erzählen Sie mir nicht, Sie kennten das nicht aus der Literatur!
Lesen Sie viel?
Und könnten Sie es sich vielleicht bequem machen und auch Wasser betrachten? Ist Ihnen schon einmal aufgefallen, dass Wasser im Dunkeln gar nicht wie Wasser aussieht? Und dass Sie bei näherer Überlegung fest stellen müssen, dass Sie gar nicht wissen, wie Wasser aussieht?
Vielleicht meinen Sie aber, es sei so durchsichtig, klar, rein und sowas alles. Jedenfalls keine lackschwarze Ansammlung von Glitzertropfen.
Lassen Sie sich nicht beirren und fahren weiter.
Wenn die Musik nun aus ist, hören Sie vielleicht einmal auf die Geräusche um sich herum. Ist da etwas? Ist da nichts? Sind Sie es, die da atmet?
Lagen Sie nach diesen Gedankenreisen, bei denen man federtraumigleicht einschlafen soll, im Kindergarten oder so, auch immer noch lange wach? Weil Sie die Assoziationen nicht müde, sondern lebenshungrig machten?
Schlafen Sie in leeren Zügen?
Ich frage Sie, können Sie schlafen, in leeren Zügen?
Ich frage Sie, können Sie schlafen?
Ich frage Sie, wo schlafen Sie?
Können Sie schlafen auf Rücksitzen von Autos? In Betten, wenn es so kalt ist, dass Sie einen Pullover brauchen? Auf Ihrer Arbeit? In der Schule? Der Universität? Auf Tischen und in der Straßenbahn? Wenn es dunkelt oder scheint? Wenn es ruhig ist? Wenn es laut ist?
Ich frage Sie, wie können Sie schlafen? Wann?
Leere Züge fahren aus einer Stadt in die andere. Sie halten nie dort, wo sie gern aussteigen mögen. Nur dort, wo Sie wohnen, arbeiten, reisen.
Ich frage Sie, können Sie schlafen?

19. Oktober 2010

Dilettantenuni

Gewollt und nicht gekonnt ist mir eigentlich eine recht sympathische Lebenseinstellung, aber irgendwie sympathisch auf eine unsympathische Weise. Also sympathisch nur, weil mir manchmal Sachen sympathisch sind, weil ich sie auch mache/verkörpere/denke. Femiziss, der ich bin. Nicht, weil ich sie grundsätzlich gut heiße.
Ich wollte immer ganz gern Psychologie studieren. Aber ich konnte nicht, wegen diesem Dingsda, na, NC. Und vielleicht/sehr wahrscheinlich hätte ich es auch so nicht gekonnt. Nichtsdestotrotz erfüllte ich mir heute ganz dilettantisch meinen Lebenstraum und saß 10 Minuten in einer Psychologievorlesung, Diagnostik, um genau zu sein. Naja, so dilettantisch auf die Psychologie bezogen war es dann doch nicht, sondern eher auf das Studieren im Allgemeinen. In Ermangelung der Kapazität, den Raum meiner Germanistikvorlesung nachzusehen (das ist das Fach, das mir zugetraut wird, mit meinem Abiturschnitt und das ich bisweilen will, aber nicht kann), schlich ich von Raum zu Raum, vertauschte dann beim Dozentennamenlesen zwei Buchstaben und wunderte mich so eine Weile über die kreative Einführung mit Schwerpunkt ungewöhnliche, fachcampusfremde Raumwahl und ob der Verteilung so vieler unbekannter Gesichter um mich herum. "Na, die Erstsemester gehen aber heuer ran!" hatte ich fränkische Gedanken und fasste mir schließlich doch ein Herz, meine Sitznachbarin zu fragen, ob das hier tatsächlich eine Psychologievorlesung sei. "Natürlich!", antwortete sie verstört und ich beeilte mich, so unauffällig wie möglich vor 50 seriös und ihr Leben im Griff habenden jungen Menschen hinter dem Rücken des Dozenten zu verschwinden, mit meinem Umweltschulheft und einem angekauten Stift in der Hand.
An der Mensaschlange lächelt mich ein paar Stunden später jemand an: "Du warst doch grad auch in der Diagnostikvorlesung! War super, oder?" Als ich ihm gestehe, dass ich eigentlich Germanistikstudentin bin und mich verirrt hatte, guckt er 10 peinliche Sekunden betreten auf den Boden, fängt sich dann jedoch ganz psychologisch: "Kannst ja gern öfter kommen!"
Offenbar macht man auch als Dilettantin hin und wieder einen netten Eindruck.
Ich grinse noch vor mich hin, als mich eine Erasmusstudentin fragt, ob das Essen, für das ich anstehe, vegan sei. Es tut mir sehr leid, dem charmanten Mädchen mitteilen zu müssen, dass es dies keinesfalls sei, dass es in Wahrheit nur ein vegetarisches, überhaupt kein veganes Gericht gebe. Kopfschüttelnd fallen mir mal wieder die "vegan" Schildchen auf, die neben die derbsten Fleischgerichte gestellt werden, um anzuzeigen, dass Kartoffeln vegan sind.
Fischgeschmack noch auf den Lippen schmeckend, gehe ich angewidert an den geschmacklosen Begrüßungsballons für die Erstsemester vorbei. Voll die Dilettantenuni, meine Uni.

18. Oktober 2010

Schlaflos Part III oder I'm so tired of you, Sanssouci.

Ja, Park, du bist schön! Es ist ein Privileg am Neuen Palais zu studieren,ja, nach zwei Jahren hab ich das auch endlich mal kapiert! Ich weiß, ich weiß... Und doch: I'm so tired of you, Sanssouci!
Your fucking phoney name: Without Sorrows, ohne Sorgen, dass ich nicht lache!
I'm so tired of your phoneyness!
Tired of the Drachenhaus, the Botanischer Garten mit den vielen Scheißschmetterlingen im Sommer, tired of all this überladene Barockromance, tired of the Sunlight shining through the beautiful autumn leaves... I'm so tired of you!
Tired of Oktoberschönheit, Laubgeruch, Studentenmief.
Völlig ohne Schlaf durch den Park wandelnd kann man sich höchstens noch am perfekten Spazierstock in Form einer glatten, breiten Wurzel erfreuen und an Hand dessen zur Bushaltestelle finden. Touristen gucken mich komisch an. Ach, all diese störenden Studenten. In den Bus darf die dicke Wurzel natürlich nich mit. Ich lass sie ungern liegen. Ich mag diese Parabeln nicht, in denen es darum geht, man finde sich zufällig, gehe eben ab und zu gemeinsame Wege und dann verabschiedet man sich irgendwann und schlägt einen anderen Weg ein, wo der andere nicht mitkann und dann geht es weiter. Nein, so eine Parabel soll das nicht werden, denn ich mochte den Stock wirklich und hätt ihn gern behalten.
Stocklos schlafe ich im Zug ein und dann zu Hause. Aufzuwachen wenn es dunkel ist, bittert mich in den Abend und viel ist nicht mit ihm anzufangen, außer die Abscheu, dass es morgen wieder heißt:
I'm so tired of you, Sanssouci!

17. Oktober 2010

Bakterienherde

Auf der Party gestern abend hätte ich wohl aus mehreren Gründen nicht sein sollen. Der erste ist Pfirsichlikör-Sekt-Wodka-Bowle. Obwohl meine Mutter mich schon früh vor der Heimtückigkeit dieser gewarnt hatte, erwecken die aufgeweichten Dosenfrüchte in mir automatisch unschuldige Kindergeburtstagsassoziationen, die mich den Alkohol geschmackstechnisch in Saft verwandeln lassen.
Der zweite ist die Wohnhaftigkeit einer Biotechnologiestudentin in der gastgebenden WG. Von Gesprächen über schicke Seifen kommt man auf Schaumbäder und Badewannen und ob der Reinigung dieser finde ich mich plötzlich in einem Gespräch über Bakterien wieder.Die lauern überall. Vor allem, da, wo man Entspannung von Alltagsneurosen sucht, im Bett zum Beispiel.
"Aber, wenn man den Kopfkissenbezug auf 60 Grad wäscht, dann sterben die Bakterien doch!"
"Absoluter Blödsinn", jauchzt sie sadistisch grinsend. "Das solltest du aller drei bis vier Monate wegschmeißen!"
Ich richte mich ein wenig von dem fremden Bett samt Tagesdecke und einigen Kissen, auf dem ich gerade ruhte, auf.
"Milben fressen deine Hautschüppchen und weißt du, was richtig schlimm ist? Schwämme! Schöne, feuchte Haushaltsschwämme! Das lieben Bakterien! Außerdem ist es im Klo sauberer als in deinem Kühlschrank!"
Meine Nacht war schrecklich. Um 7 Uhr wache ich auf, ich weiß nicht warum. Vermutlich, weil mein Kopfkissen plötzlich so merkwürdig stinkt! Aus dem Fenster blickend stelle ich fest, dass es tiefschwarze Nacht ist und dass das noch vor ein paar Monaten nicht denkbar gewesen wäre, im Dunkeln nach Hause kommen, 4 Stunden schlafen und dann immer noch kein Morgenpink. Auf der Toilette fühle ich mich wohl, während ich den Saft aus dem Kühlschrank herunterwürgen muss. Ich lege mich auf mein widerliches Kopfkissen und träume noch ein paar Stunden von riesigen Insekten, die überall in der Wohnung lauern, um mich anzufressen. Am wohlsten fühlen sie sich rechts von meinem wirren Nischel.
Erwachend und glücklich, dass alles nur ein Traum war, wasche ich meine Teetasse auf. Mit einem feuchten Schwamm. Oh, was tu ich denn da? Ich lasse den Schwamm fallen und überspüle das Gefäß mit einer halben Flasche Spülmittel. Gute, alte Chemie!
Erleichtert trinke ich den Tee und beginne zu arbeiten.

16. Oktober 2010

Mittagspause

In der Mittagspause kaufte ich fürs Wochenende ein. Schließlich braucht man als Studentin gut Nahrung, wie etwa die zwei neuen Milkasorten: Milchcréme und Knister, für die mein Herz besonders schlägt, und Milchcréme und Schoko-Keks, die ich noch nicht probiert habe, von der ich aber nur Gutes erwarte.
Und: Ich werde meine Meinung über Socken etwas revidieren: Der Umstand, dass ich mir Herrenfreizeitsocken in meiner Größe zulegen konnte, zeigt immerhin, dass Cross-Dressing im wollenen Bereich angesagter zu sein scheint als bei Schuhen. Herrenschuhe fangen nämlich zumeist erst bei 42 an. Wieso auch anders? Pumps sind für Mädchen, Turnschuhe für Jungs, basta.
Und Jungs sind groß, Mädchen klein, doppelt basta!

15. Oktober 2010

Wasser

Heute ist also der Blog-Action Day zum Thema Wasser. Und ich würde an dieser Stelle gerne informieren über die Wichtigkeit sauberen Trinkwassers, den fehlenden Zugang vieler Menschen zu diesem, Wasser bezogene Krankheiten- aber ob der Fülle von wissenschaftlichen Blogs, die heute dazu bereits veröffentlicht wurden, verweise ich da lieber auf qualifiziertere Beiträge: http://blogactionday.change.org/
Dies hier soll lieber ein persönlicher Zugang zum Thema Wasser werden, ich bin von diesem Thema nun sowieso viel zu emotionally overwhelmed, um sachlich darüber zu schreiben.
Meine frühesten Erinnerungen, die mit Wasser zu tun haben, beziehen sich auf meine Grundschulzeit, als ich schwimmen lernte. Beziehungsweise dieses in der Schule perfektionieren sollte. Schwimmen hatte ich bereits am Badesee gelernt und ich war davon begeistert. Bis ich meinen Kopf in Chlorwasser tauchen sollte, um Tauchen zu lernen. Einen Gegenstand vom Boden fischen. Was soll ich sagen, ich möchte hier kaum weiter sprechen über diese sadistischen Erinnerungen in künstlichem Türkis und unter chemischem Geruch- es sei nur das Fazit gesagt: Das Seepferdchen erhielt ich bis heute nicht, meinen Frieden mit Hallenbädern habe ich inzwischen gemacht. Ein fies pauschalisierendes Misstrauen gegenüber Sportlehrern ist allerdings geblieben.
Im Laufe meines Lebens blieb die Freude auf das Schwimmen im Sommer, in Seen oder Meer, bei Hitze und bei Kälte, eine Konstante in meinem Leben, ebensowie die Angezogenheit von Wasser in Städten. Selbst eine merkwürdige, sich in früher Kindheit entwickelnde und bis zur Pubertät bleibende Haiphobie konnte die Konstante nicht kürzen.
Von Seejungfrauenmärchen war ich immer fasziniert. Überrascht erfuhr ich, dass diese in der gendertheoretischen Lesart als Geschlechtervermischung angesehen wurden. Als Frauen mit Schwanz, sozusagen. Dies kann man nun albern finden oder auch nicht, unbestreitbar bleibt, dass die See durch die Unendlichkeit, Tiefe, Gefahr das künstlerisch einladenste unter den Elementen darstellt.
Beim Schwimmen denke ich seltsamerweise nicht an das große Unbekannte unter mir, sondern fühle mich mit der Umwelt selten vereinigt. Gäbe es eine Möglichkeit, sämtliche Aktivitäten ins Wasser zu verlegen, ich würde sie sofort ergreifen.
Greifen tu ich momentan auch den ganzen Tag zum Glas, das ich mit Leitungswasser fülle. Als Limonaden und Selterskind aufgewachsen, war das früher undenkbar. Als Studentenkind nun ob der finanziellen Lage nicht nur denkbar, sondern nötig. Und ich lernte Wasser noch einmal auf eine ganz andere Art und Weise zu schätzen, radelnd nach heißen Tagen, nach Hause kommend, gierig den Hahn laufen lassend: Als Trinkwasser.
Fuck, dass das ein Privileg ist!

14. Oktober 2010

Schickes Ding, das Schicksal

Ja, ich handle dann und wann etwas abergläubisch. Ich steh drauf, durch Hühnergötter in die Sonne zu gucken und dabei einen stillen Wunsch zu äußern. Ebenso, wenn ich eine Wimper finde, sie küsse und über die linke Schulter werfe. Erhalte ich ein Geburtstagsgeschenk vorher, warte ich genau bis 0:00, um es zu öffnen. Jedoch zähle ich diese Angewohnheiten eher zu meinen zahlreichen Neurosen, als dass ich sie zu aberreligiösen Gefühlen hochstilisiere. Sagen Leute mir so etwas wie "Nichts im Leben geschieht ohne Grund" so bin ich dennoch in Betrachtung der Erfahrungswelt fast geneigt, dies zu glauben.
Jedoch, ich erhebe hier den Zeigefinger und betone: Nicht auf Grund von Schicksalsergebenheit. Fatalistischer Quatsch ist diese Aussage, wenn man wirklich blind darauf vertraut, eine höhere Macht steuere unsere Geschicke. Hieße das, wir könnten uns nun gemütlich zurücklehnen und abwarten, dass etwas geschieht, denn es geschieht ja nicht ohne Grund? Ich glaube, so mancher säße dann in seinem Heimatdörfchen und drehe Däumchen, während das Leben in Höhen und Tiefen, oder auch langweilender Flachheit an ihm vorüberzieht. Oder um einiges grausamer: Welcher Hohn ist dies für Diktaturen, Kriege, Seuchen, kurz all das wirklich verzweifelnd machende Leid? Was müssten unzählige denn ertragen, damit einigen dann etwas "mit Grund" widerfährt?
Nein, ich finde diese Schicksalsergebenheit, die sich durchaus auch in Kreisen agnostischer, ansonsten recht aufgeklärter Zeitgenossen rege wieder findet, persönlich ziemlich menschheitspessimistisch. Wenn wirs nicht richten können, dann tuts schon jemand anders für uns. Oder auch, wenn wirs versaut haben, dann ist eben jemand anderes schuld. Ich musste schon Häuser, Viertel und Songs, gar Personen vor dieser Beschuldigung, das Unglück anzuziehen, in Schutz nehmen.
Ich glaube fest an das sartresche und amérysche Engagement des Menschen. Wer mit der Welt in Verbindung tritt, sich ihr verpflichtet und in ihr aktiv handelt, nur dem passiert sie und ihm passieren Dinge in ihr. Nur so kann der geschichtliche Lauf der Dinge Stocken gemacht werden, wenn nötig, nur so widerfährt mir Lebendigkeit und ich kann mit von Lethargie, Aberglaube und Abgeklärtheit emanzipiertem Herzen zum Guten handeln. Das mag sich genauso naiv anhören, wie der oben beschriebene Schicksalsglaube, jedoch, kann es naiv sein, an Möglichkeiten zu glauben?
Und doch: "Nichts im Leben passiert ohne Grund", in dem einfachen Sinne, dass unser Unbewusstsein uns manchmal etwas augenscheinlich Falsches tun lässt, dass unseren wahren Wünschen zuträglicher ist, als etwas, womit wir uns gerade bewusst agierend beschäftigen. Verlieren wir etwas oder jemanden, was oder der uns wichtig ist, und widerfährt uns danach dennoch Gutes, dann wohl vor allem deshalb, weil wir stark sind und uns etwas anderes suchen, um glücklich zu sein. Diese Suche kann sich recht wenig offensichtlich vollziehen, so dass es scheinen mag, uns hätte das Schicksal die Bälle einfach zugeworfen. Nein, wir sind vorher gefallen, weil das zum Leben auf Grund des ihm inne wohnenden Learning by Doing- Prinzips mitunter dazu gehört. Wir sind aufgestanden, weil wir leben wollen. Wir haben uns engagiert, weil uns etwas passieren soll.
Und Zufälle gibt es ja auch noch, einige von ihnen können durchaus lustig sein. Und spannend an ihnen ist, dass es Zufälle sind, die uns wie der Name schon sagt, hin und wieder einfach zu fallen, weil das Leben ein großes Tetris ist, bei dem auch dem unaufmerksamen Spieler ein paar Steine in die Löcher passen können. Wäre es tatsächlich der große Plan des Schicksals, nimmt ihnen das dann nicht den Reiz des Besonderen, der Zufälligkeit eben?
Es kann richtig scheiße ausgehen für gute Menschen und toll für böse, weil diese Unterscheidung wohl kaum die Komplexität der menschlichen Seele erfasst. Wenn ich eben vom Guten sprach, so meine ich damit nicht ein "Gutes", ich sehe es als Sammelbegriff der Dinge, die ein kritischer, warmer und allumfassend lebensfreundlicher Geist zu vollbringen im Stande ist. Doch engagiert sein hilft diesem Prozess enorm. Jedenfalls mehr als der Dinge zu harren, in Trauer noch an die Belohnung all des Schmerzes zu denken, erneut verlassen die eigene Aura zu verteufeln, anstatt mit Hilfe der detailierten Selbstkritik Potential zu schöpfen, oder auch auf das Lichtlein von irgendwoher zu hoffen. Ist bequemer so. Vielleicht auch hoffnungsvoller, denn realistisch betrachtet: Es kann auch alles scheiße laufen und bleiben.
Ich jedenfalls kann gerade keine Hühnergötter am Meer suchen, mein Geburtstag ist vorbei und fürs Wimpernküssen werde ich wie für so vieles, langsam zu alt. Drum zünd ich meine Zigarette in der Kerze an, woraufhin keinesfalls ein Seemann stirbt, dafür bin ich viel zu sehr innere Seemannsbraut, und rauche und schreibe weiter.

13. Oktober 2010

Socken und Geburtstage

Ich mag nicht: Socken. Mir bereitet es keine Freude, Socken zu kaufen. Denn Socken sind nicht gerade ihrer geringen Lebensdauer und Unspektakulärität preislich angemessen. Socken zu waschen nervt, denn sie klemmen sich mit Vorliebe in die entlegensten Orte der Waschmaschine, wenn sie sich nicht bereits vorher im Wäschekorb versteckten. Ich finde es unbequem, Socken nach der Wäsche aufzuhängen. Es dauert. Und es dauert und langweilt eben so, sie wieder abzuhängen. Es macht keinen Spaß, sie in Paaren zu sortieren.
Meine Reaktion auf das Sockenproblem: Ich kaufe selten Socken. Ich trage sie auch noch mit Löchern. Ich wasche sie einfach mit, wenn ich im Wäschekorb grapsche und wenn sie nicht dem zufälligen Griff in die Hand geraten, dann haben sie Pech und vergammeln eben, die dummen Socken. Selbst Schuld an ihrer Sockigkeit. Ich lasse sie einfach, nachdem ich alles andere schon in den Schrank geräumt habe, hängen. Aufmerksamkeit schenke ich ihnen höchstens im Vorbeigehen, bei dem ich, um meine Übellaunigkeit ob der Sockigkeit in möglichst kleine Momente zu packen, ab und zu ein, zwei davon mit in die Wohnung nehme. Ehe ich ihnen die Zuwendung schenken würde, sie zu sortieren, trage ich lieber täglich zwei verschiedene. Und das nicht stilvoll, verwegen bunt, sondern recht lieblos und willkürlich, kann dann auch anthrazit und schwarz sein, meinetwegen.
Socken stinken einfach.
Ich mag: Geburtstage. Eigene und Fremde. Es macht Spaß, sich Geschenke auszudenken, es macht Spaß, zu raten, was man bekommt. Es ist schön, zu schenken. Schön ist es beschenkt zu werden. Ob mit Gegenständen, Gesten oder Worten. Zu feiern ob eines weiteren Jahres mit sich selbst oder einer Person ist eine Hommage an das Leben und kann deswegen gern exzessiv werden. Ob nun exzessiv im Genuss von Alkohol (wie zumeist an meinen eigenen Geburtstagen) oder von Essen (wie der 80. Geburtstages meines Literaturbühnenprofs, den ich heute feierte), was bleibt sind, wenns gut lief, lachende Gesichter und ein Gefühl des Vollseins. Heute bin ich voll von Warmherzigkeit, Gemeinschaft, Erleichterung, Kirsch- und Apfelkuchen, vor allem aber Eiern und Käse. Mit der Frage, ob meinem studentischen Vegetarierkörper die ungewöhnlich hoch frequentierte Zufuhr von Eiweiß und Laktose überhaupt so gut tut oder ob er seine Überraschung noch in irgendeiner weiteren Weise zum Ausdruck bringen wird, freue ich mich schon auf das nächste Zusammentreffen von Kaffee, Sekt, kalten Platten und Zuhören.
Geburtstage rocken einfach.

12. Oktober 2010

Denn ich habe ja immer Zeit...

Nein, eben gar nicht! Wieso kann ich aber trotzdem nie "Nein" sagen?
Die höchste Dringlichkeitsstufe in meinem Leben sollte eigentlich gerade meine am Montag abzugebende Hausarbeit haben, stattdessen habe ich gestern die Nacht mit einer Schneidbegleitung des Films der Verfilmung meines Lebens... äh meiner Lesung verbracht. Eine Cutterfreundin zu haben, ist ganz schön großartig, vor allem, wenn diese perfektionistisch veranlagt, kreativ und mit dem richtigen Gespür für Momente ausgestattet ist, zudem noch nächtlichen Betriebsführungen und Spaziergängen auf dem Weg zum perfekten Nachtbefressnis aufgeschlossen. Obwohl ich nicht viel zum Prozess beizutragen habe, außer "Habt ihr hier auch Kaffee?" "Wo darf ich rauchen?" "Kommst du mit rauchen?" "Oh, wie toll!" "Warum ist die Wand da grau gestrichen?" "Haben die männlichen Mitarbeiter so viel Haarausfall wie die IT-Leute?", fühle ich mich schon trotzdem fast ein bisschen stolz auf das tolle Ergebnis. Das macht das eifrige Komplizengefühl, das sich bei nächtlicher Arbeit in egal welchem Bereich anscheinend automatisch einstellt.
Um 7 fahre ich nach Hause und die "konkret", die ich mir an der U-Bahnstation kaufe, verhindert, dass ich einschlafe. Übrigens ist die "konkret" diesen Monat eine lohnende Investition, denn es gibt eine wundervolle Rezension von Sonja Eismann zum ersten Christiane Rösinger Soloalbum "Songs of L. and Hate" (mehr qualitativer Popfeminismus und Poesie geht wohl kaum in einen Feuilletonbeitrag) und zwei recht kontroverse Artikel zum Thema Vegetarismus als Ausweg und Straight-Edge Veganismus als Ideologie (mehr Forderung nach Emazipation des Menschen von der Natur, Ökoideologiekritik und Balance zum Konsens einer Forderung nach weltwirtschaftlich gerechterer Ernährung geht wohl kaum in einen Politbeitrag).
Am Nachmittag viel zu spät erwachend, bereite ich mich auf eine anstehende Telefonkonferenz zu einem Projekt im Literaturforum "keinVerlag" vor, das ich mich mitzuorganisieren bereit erklärt habe und überlege schon, wie viel Zeit mir bleibt, zu duschen, zu kochen, um dann zum Protestvorbereitungstreffen zu fahren.
Und eigentlich habe ich ja gestern Nacht beschlossen, einen Hasseintrag gegen bestimmte Formen der Übermännlichkeit hier zu publizieren, aber nun fehlt mir schlicht die Zeit.
Lieber weise ich noch auf den http://blogactionday.change.org/ Blogactionday hin, der in diesem Jahr am 15.10. zum Thema Wasser stattfinden wird.

11. Oktober 2010

Mit dem Brotmesser Grapefruit schneiden

Wer das Glück oder Unglück hatte, schon einmal näher mit mir in Kontakt getreten zu sein, weiß, dass die Übersprunghandlung meine bevorzugte Art der Aktion ist. Kann allerdings sein, dass wer es weiß, ohne zu wissen, was eine Übersprunghandlung ist. Es gehört wohl zu den schönsten Erinnerungen meiner Schulzeit, wenn ich daran denke, wie mein Kollegstufenbiolehrer es anhand eines Beispieles aus dem Tierreich erklärte: Ein Schimpanse im Zoo streitet sich mit einem anderen Männchen. Als der Gegner erneut angreift, greift er sich eine Banane und isst diese genüsslich. Weniger beherzt .
Übertriebenes Haare spielen, Rauchen, Trinken, Rennen, Rad fahren, Küssen in Situationen der Abscheu, Nervosität, Langeweile oder Lethargie sind die einfachen Auswüchse, die mich kaum noch überraschen. Wird es allerdings etwas komplexer, finde ich das selbst in Relation zu meiner Person noch etwas wired. Mir fällt da dieser Sommertag 2009 ein, als ich Tempelhof besetzen wollte und mich plötzlich lesend am Schlachtensee wieder fand. Allerdings ist dies ja gerade noch mit Funny Van Dannens Verliedung des Themas in einer Liga: "Ich wollte eigentlich ins Kino gehen// In "Bowling for Columbine"// Aber etwas in mir sagte lass es, das muss heute nicht mehr sein//Den kannst du dir immer noch anschaun morgen oder irgendwann//Aber heute bleibst du zuhause und schmeißt die Nebelmaschine an" (Nebelmaschine).
Doch heute entwickelte es irgendwie den Gipfel an Übersprünglichkeit. Eigens um einen Film im Rahmen einer Aktion des "Zentrums für politische Schönheit" zu sehen suchte ich begleitungslos das Filmcafé in der Schliemannstraße auf. Mein Debüt dort erlebend, fand ich mich nicht gleich zurecht, hatte aber Hunger. So setzte ich mich erst einmal willkürlich an einen Tisch und bestellte das einzige vegetarische Gericht auf der Karte: Veggieburger. Dieser entpuppte sich als in Burgerbrötchen und den üblichen Beigaben gekleideter Halloumi. Diese Ungeheurlichkeit wurde jedoch durch die reichhaltigen Beilagen in Form von Country Potatoes und zweierlei Arten Salat etwas entschädigt. Just als der Teller fast-foodig anbiedernd vor mir stand, entnahm ich mitgästlichem Geflüstere und Geraune Erkundigungen nach dem Ort der von mir zu besuchend geplanten Veranstaltung. Downstairs Kino. Alles klar. Rasch aufessen, dann runter gehen. Neben mir erscheint plötzlich die "Tagesschau" auf der Leinwand und die Anwesenheit sich genüsslich in Richtung Bildübertragung zurechtrückender Bluse-unter-Pulli Damen lässt mich vermuten, dass hier wohl alsbald ein "Tatort"guckhappening beginnen wird. Noch bin ich aber fest entschlossen, meinen sehungünstigen Platz beizubehalten und Betrachtungsgegenstand des Abends den seit langem anvisierten, ortswechselerforderlichen sein zu lassen. Nun ja, was soll ich sagen, man kann nun mutmaßen, war es Bequemlichkeit? Durch den seltenen Genuss von Kartoffeln hervorgerufene Mangelerscheinungen zweijährigen Familien- und Fernsehentzugs? War es Johnny Cashs "Country Boy" oder Jan Josef Liefers catchy Gummistiefelwitz? 15 Minuten später habe ich jedenfalls meinen Allerwertesten auf dem Stuhl gegenüber, meinen Rücken an der Wand und Augen und Ohren offen für den Münsteraner "Tatort". Bis zum unvorhersehbaren Verlegenheitsende. Mehr verblüfft als beschämt zahle ich und gehe in die vorhersehbare genial-kalt-gute Oktoberluft. Zuhause möchte ich aufgrund der Wahrnehmung der Ankündigung eines Schnupfens eine Grapefruit essen und habe plötzlich den Rest meiner vegetarischen Paella in einer Schüssel auf dem Schoß.
Ausnahmsweise war dies nun vielleicht nicht eine mir als human animal par excellence typische Verhaltensweise, sondern schlicht Erschöpfung. Es war nun einmal ein buntes Wochenende. Das mit dem Konzert und Gespräch mit Roman Fischer im Rosis begann, der mir Kopfzerbrechen ob der Möglichkeit der Existenz einer Dorian Grey- Gestalt bereitete. Nicht nur, dass er die Schönheit in Gestalt eines makellosen Jünglings verkörpert, nein, er scheint sie auch nicht durch übermäßige Intelligenz zu entstellen und ich bin mir sicher, dass er ein Porträt besitzt, dass an seiner statt altert. Nur so lässt sich erklären, dass er, obwohl nun doch schon seit 2004 ein Begriff in der Indie-Achse Augsburg-Berlin, das Aussehen eines 20-jährigen besitzt. Dieses Kopfzerbrechen mit niedrigem Blutdruck und trägem Herzen wegtanzend, findet man beinahe schlafend nach Hause, um nach ein paar Stunden Bettlage den erneut wunderschönen Oktobertag mit einer Radtour entlang das Charlottenburger Ufers, an dem sich jeder Herbst an Glanz und Magie zu übertreffen sucht und meiner ersten vegetarischen Paella zu feiern. Das Intersoup verschluckt mich her nach wieder mit alten Bekannten und neuen Musisländern für ein paar Stunden zuviel, so dass ich erneut schlafdefizitär zur "Silent Climate Parade" fahre. Letzere war wohl mein bisheriges Highlight der Berliner Herbste. Noch nie war Techno erträglicher, noch nie war es schöner zu tanzen, zu lachen und zu demonstrieren, denn die Sonne scheinte, die Lautstärke war über den Kopfhörer regelbar, die Touristen interessiert. Wohl die Demo mit der höchsten Stylofrequenz, die ich je besuchte, dafür aber auch die friedlichste, effektivste in der Erregung der unmittelbaren öffentlichen Aufmerksamkeit und nicht zuletzt, genussvollste.
Auf der Bahnfahrt nach Hause wünschte ich mir ein paar schöne E-Mails zu lesen, wenn ich zurückkehrte. Merkwürdigerweise erfüllte sich dieser Wunsch in der Einladung zu gleich mehreren interessanten Projekten. Zaghaft darf ich mich trauen, ein "Ja" hinter mein Leben zu stellen. Es ist ja noch immer kein enthusiastisches "Jawoll", aber eben auch kein Nein.

9. Oktober 2010

Und Anti-Aging Créme hilft doch gegen Stewardessenkrankheit.

Ich sitze in der U-Bahn und fürchte, ich vergaß, den Herd auszudrehen. Da nichts auf diesem steht, ist das Risiko eines Wohnungsbrandes gering. Jedoch hüpft mein Herz einen Moment vor Panik, bis mir einfällt: Nichts Wertvolles befindet sich in ihr. Und Panik löst sich in überraschendes Glück auf, jung und arm zu sein, mit der Existenzgrundlage, die in die Handtasche passt.
Auf der Rolltreppe berührt mich jemand zufällig sanft am Arm. So sehe ich mich um, ob es nicht doch der schüchterne Gruße einer bekannten Person ist. Doch es war nur der I-Pod in der Hand einer Fremden.
Als ich malte, überkam mich ein Gefühl der Trennung. Ich fühlte, dass wir uns heute so nah sein würden, wie nie, doch schon ab morgen, in stetigen, kleinen Schritten ein jeder von uns aus der Stadt fort gehen würde, bis wir vielleicht bereits in einem Jahr in alle Winde gestreut seien. Den Pinsel in der Luft haltend, war ich verblüfft, ob der Option nun darüber lachen oder weinen zu können.
Mir gegenüber sitzt eine Person mit rotgoldenem Haar, einer Stupsnase und einer ausnehmend nervigen Stimme. Neben mir sitzt ein ansehnlicher junger Mann. Ich schreibe das in mein Notizbuch und wenn er rüber sieht, erkennt er hoffentlich meine Unverblümtheit und wir können uns gemeinsam woanders hinsetzen. Doch er lächelt frohlockend zu ihrem Geschwätz und die Beiden steigen gemeinsam aus.

7. Oktober 2010

Die Leere nach dem guten Buch

Ist ein mir bekanntes Phänomen,über dass ich mich aus aktuellem Anlass auslassen muss. Die meiste Zeit lese ich ja irgendwas, was mir auf dem Flohmarkt interessant erschien, wovon ich hörte, was ich geschenkt bekam. Oft erfüllt es nicht meine Erwartungen, doch ich bin das Lesen als Späteinschläferin und Langstreckenbahnfahrerin ja gewohnt. Ab und zu kapituliere ich, meistens gehts dann bis zum halbgaren oder bitteren Ende. In unregelmäßigen Abständen ist dann aber etwas ganz Tolles dabei, und dann ändert sich mein Leseverhalten ähnlich schnell wie meine Nuss-Nougatcrémepräferenz nach dem Auszug ins Studentenleben: Plötzlich lese ich nicht, um mir die Zeit zu vetreiben, sondern ich vertreibe die Zeit, um zu lesen. Ganze Ausflüge unternehme ich für perfekte Leseorte, Termine lasse ich ausfallen und die Ringbahn wird in die andere Richtung genommen, die, in der es länger dauert. Dass ich das Buch dann nicht mal zum Essen weglege, zeigen zahlreiche Suppen- und Schokoladenflecken in meinem Lektürebesitz. Ist das Buch dann ausgelesen, stellt sich eine plötzliche Daseinsleere ein: Was tue ich jetzt? Rufe ich die Freunde an, um den Termin nachzuholen? Muss ich mich jetzt wieder um die schnellsten Bahnverbindungen kümmern? Beim Essen alte Gilmore Girlsfolgen sehen? O.K., nun habe ich eben wieder Zeit, die wichtigen Dinge zu machen.
Mhm, manchmal glaube ich, ich sollte hauptberuflich Leserin werden.
Der aktuelle Anlass heißt übrigens "Fabian" von Erich Kästner. Ein Buch, das mir Berlin und Menschen und Ideale und so derart farbenprächtig und lebendig vor Augen führte, dass ich es schwer finde, jetzt wieder real blass und blutleer in ihm und mit ihnen zu leben.

6. Oktober 2010

Ein Ideal von Tee


Es ist immer schön, wenn man etwas an das Ende eines arbeitsamen Tages legt, auf dass man sich freuen kann. Bei mir war das heute sogar die Erfüllung eines recht dringlichen Wunsches: Seit Tanten- und Trödelladenbesuch, bei dem ich mit seit achtzehn Jahren geübter Bettelschnute die perfekte Teetasse erstand, laufe ich einem Ideal von Tee hinterher.
Im Sonnenlicht des vierten Stocks der UDK-Bibliothek an einer Hausarbeit sitzend, beschloß ich, dass es heute Abend so weit sein sollte. Zunächst führte mich also beim Nachhauseradeln mein Weg an REWE vorbei und ich erstand eine "GEPA Ostfriesen Bio Mischung". Eine nette Mixtur aus schwarzen, losen Tees also.
Zuhause ließ ich die Trödeltasse ersteinmal in kochendem Wasser einweichen. Keime und so. Da fielen mir noch die genial-kitschigen geerbten Salz- und Pfefferstreuer in Vögleinform ein, sowie die neuen japanischen Teezeremonieschalen vom Geburtstag. Auch die sollten mal kräftig ausschwitzen! Während ich wartete, bis ich abwaschen konnte, ohne mir die Finger zu verbrennen, sah ich mal wieder eine Motte. Zeit, den Tiefen meines Küchenschrankes mal auf den Grund zu gehen. Ungefähr seit einem Jahr habe ich das wohl nicht mehr gemacht, denn nur so lassen sich die Unmengen an verschimmeltem Brot erklären. Aus meiner Scham zog ich Kraft, säuberte alles gründlich, legte mir eine neue hygienischere Schrankrangfolge an, beugte ähnlichen Szenarien im Kühlschrank vor und triumphierte letztendlich über die verhinderte Mottenplage. Nun hatte ich Hunger. Nach zwei Ziegengoudatoasts fiel mir die Spüle wieder in den Blick. "Der Tee! Du musst deinen perfekten Tee trinken!" rief eine sehnsuchtsvolle Stimme in mir. Ich wusch also alles ganz gründlich ab, inklusive der neuen Tasse, die aus unendlich vielen, rafinierten Kleinteilen besteht. Endlich lohnte es sich, erneut Wasser zum Kochen zu bringen, diesmal allerdings für den Genuss, nicht die Hypochondrie.
Den Tee fülle ich zunächst in eine kleine, nostalgische Teedose und dann mit dem zugehörigen, echten Teelöffel drei ebensolcher in den Siebaufsatz der Tasse. Langsam und geniesend schütte ich das brodelnde Wasser darüber. Lasse ihn drei Minuten ziehen.Gieße etwas davon zurück in die Spüle. Gebe ein paar Tropfen Milch dazu und erneut mit dem bezaubernden Löffelchen einen Klecks Honig hinein. Nachdem ich ihn fotografiert habe, hat der Tee die perfekte Trinktemperatur. Die Vorbereitung hat zwei Stunden gedauert. Ihn zu trinken dauert genau drei Minuten. Aber für 3 Minuten steht meine Welt still. Es ist ein Ideal von Tee.

5. Oktober 2010

Der Ort, an den ich gehe...

wenn es nachts ist und ich gewisse Bedürfnisse verspüre, ist der Späti gegenüber.
Daher kennt mich der Mann hinter der Theke in dunkelsten Momenten. Ich denke, es ist keine Paranoia, wenn ich behaupte, ich kann seiner Stimmlage, seinem Lächeln und der Größe seiner Pupillen entnehmen, dass er immer genau erahnt, warum ich um 2:00 nachts jenen Schokoriegel, dieses Kirschbier, Filterzigaretten oder Tabak benötige. Als meine ehemalige Mitbewohnerin vor einiger Zeit zu Besuch kam, nachdem sie schon ein halbes Jahr woanders gewohnt hatte, fragte er sie, wo sie denn die ganze Zeit gewesen sei und reichte ihr sogleich ihre favorisierte Zigarettenmarke. Wenn ich an verkaterten Wochenendmorgen in Begleitung und trügerischer Zweisamkeit erschien, um Tabak zu kaufen, grinste er wissend und vorausschauend. Ich werde nie den Sonntag vergessen, an dem ich für eine Freundin Cola besorgen musste, und zwar keine Coca. Er rettete mich mit einem Getränkepulver mit Colaaroma, nach welchem ich dann einen Sommer lang süchtig wurde. Ich trank täglich mindestens drei Liter, die ich mir im Messbecher anrührte und Bill Murray in "Coffee and Cigarettes" gleich direkt aus dem kannenähnlichen Gefäß konsumierte.
Eine Tütensuppe sowie eine halbe Dose Weinblätter ist nun verzehrt und mein Appetit auf Zucker steigt ins Unerträgliche. Ich weiß nicht, ob es erbärmlicher wäre, wenn ich nun den Mann, der zu den beständigten meines Lebens gehört, seit ich in Berlin bin, wissen lasse, dass ich süchtig nach Schokolade, Alkohol, Zigaretten und Aufmerksamkeit bin, als dass ich jetzt löffelweise Nuss-Nougatcréme in mich schaufele.

Wachkatze

Schrieb ich hier vor einiger Zeit über schlimme Träume, so kann ich nun freudig mitteilen, dass sich dieses Phänomen gebessert hat. Letzte Nacht träumte ich lediglich, ich besäße zwei Katzen, "Vera" und "Wake Up" hießen sie. Vor allem "Wake up" mochte ich sehr gerne, denn ihre Aufgabe war es, mir morgens auf den Bauch zu springen, zu maunzen, kurz ihrem Namen alle Ehre zu machen. Schon praktisch wäre so eine Weckkatze. Da ich es nun schaffe, seit einiger Zeit bis Mittags zu schlafen und zu nichts zu kommen. Doch was für ein tierversklavender Traum das ist! Eine Katze in einem 15 qm Zimmer zu halten, nur weil man zu faul ist, sich nen Wecker zu stellen!
Schnell komme ich also von dieser naheliegenden Interpretation des Traums wieder weg und als ich "Wake up" google, stelle ich fest, dass es auch der Name einer Ernährungsberatung mit dem Ziele der Gewichtsabnahme ist. Sowas wie "Weight Watchers", nur gesünder, da man bei "Wake up" nicht einfach nur eine bestimmte Anzahl an Kalorien isst, sondern ausgewogen bestimmte Lebensmittel und bestimmte eben eher nicht. Vielleicht möchte mir der Traum also auch sagen, meine Ernährung sei nicht so prall? Ich sei gar zu dick? Schwer im Magen liegen mir plötzlich Nougatbrot und Sojabolognese und Milka Milchcréme und Knister! Was für fiese Träume ich habe! Und wer nennt denn seine Katze schon "Vera"?
Doch vielleicht soll ich auch einfach aufwachen aus meiner komischen Verträumt- und Verklärtheit und so, mich der Realität stellen. Entdecken, dass mein Gedankenkater eben eine "Wake up" Katze ist, die "Vera" zum Spielgefährten hat, falls es bei mir mit dem Aufwachen mal wieder etwas länger dauert. "Vera" heißt nur "Vera", weil sie aus dem Tierheim ist und bereits auf den Namen hörte. "Vera" mag über den Pflichten des Tages schnell in Vergessenheit geraten, doch "Wake Up" ist die neue metaphorische Katze in meinem Leben, solange ich in Berlin wohne.

3. Oktober 2010

Aus grünen Auen springend in blutrote Blätter fallen

Meistens sehe ich es nicht, Manchmal sehe ich es. Heute sah ich es.
Ich hörte die Menschen in der S-Bahn und konnte doch lesen. Die Bahn hält am Bahnhof Zoo und ich merke, dass ich aussteigen muss. Nicht nach guter Verbindung, sondern nach mir. Ich muss raus und den Bus nehmen, um dann vom Rewe aus nach Hause zu laufen, am altem Kraftwerk vorbei, wo keiner ist um diese Zeit und ich nur meine Schritte wiederhallen höre. In der kalten Oktoberluft, die mich dich atmen lässt. Es muss am Herbst liegen, dass ich glücklich bin. Ich hatte Angst vor ihm. Doch der Sommer hat mich in lustig-bunter Gauklermanier gründlich verarscht mit Lebenspracht. Ich weiß doch, warum ich nie Schmetterlinge mochte. So scheint mir der Herbst nun im Gegensatz wohl eher wie so ein ehrlicher Typ aus der Schulzeit, den man früher nie mochte, weil er einen stets im Sozialkundeunterricht kritisierte, aber dann nach Jahren wieder trifft. Und plötzlich mag man ihn und wäre schon gern immer mit ihm vergeschwistert gewesen. Vielleicht weil man plötzlich in seinem überlebensgroßen Großstadtsexego so gewachsen ist, dass man den Wunsch hat, der Geist teile sich, nehme auf, verstehe und steige proportional.
Der Bus hat aber eine Pause zwischen o und 3:00. Man sollte an einem Samstagabend nicht zu früh nach Hause gehen, denn so trifft einen eine Glasflasche ganz knapp nicht und man muss die U-Bahn nehmen, wenn man nicht wie mit weißen Fahnen zur tückischen S-Bahn hinaufkriechen möchte. Muss die denn auch noch oben sein, die arrogante Sau, die mich nun mit dem beständigen Rattern großer gelb-roter Zähne auslacht?
Ich gehe runter und muss eine Weile warten und ich lese und unter meinen Schuhen wird Reine gemacht und angenehm berausche ich mich am chemischen Geruch des Reingungsmittels. Wie kommt das nur an den Schrubber? Wie groß ist das denn? Wie sieht das denn aus, so ein Reinigungszeug für die WG der öffentlichen Nahverkehrsnutzer?
Die beiden Männer in Orange lassen mich mit einem Blick in den Mülleimer und der Bemerkung:"Der ist noch leer genug." ratlos zurück. Und dann kommt die Bahn und ich muss bald umsteigen und nun eine sehr lange Weile warten, doch ich habe keine Langeweile, denn mein Buch ist gut und der Mann neben mir stellt seinen Koffer beiseite, damit ich mich setzen kann und stinkt nach absonderlichem Kräuterschnaps mit einer Restprise Kölnisch Wasser. Und dann komm ich an und rieche Herbstluft und ja, bin ganz bei mir. Ich schaffe es, dem Blut und der Kotze am Boden auszuweichen und sie doch zu sehen. Ich gucke nach links und nach rechts und gehe über die rote Ampel. Und hab die Hände in der Manteltasche vergraben und grinse mich im Aufzug an. Und ich bin nüchtern und glücklich und wach.

2. Oktober 2010

Durstig, duftend und dehydriert

Aus hier nicht relevanten, jahreszeit- und zu Nierenfreiheit entwachsener Kleidungbedingten Gründen wird mir ärztlich empfohlen, fünf Tage keinen Alkohol zu trinken. Und nun denke ich darüber nach, ob das schwer wird oder nicht.
Ich ging heute aus, man könnte also meinen, ich machte den Härtetest. Jedoch muss ich eingestehen, meine Begleitung ist eine nikotinsüchtige Straight-Edglerin, aus diesem Grund fiel das Gruppenzwang-Phänomen schon mal weg. Ironischerweise möchte diese Person gerade aus ähnlichen Gründen ein paar Tage nicht rauchen. Es war ein gemeinsames Lust und Verzichttreffen also.
Wir gingen uns zum Aufwärmen tüchtig beessen. Das hemmte mein Risiko, denn wenn ich lecker auf der Zunge schmecke, muss ich nicht dabei die Geschmacksnerven durch Gärung überreizen, aber leider war das dann bei ihr so mehr der Drang nach Lunge und Zigarette. Doch noch waren wir beide hart und gingen zum nächsten Level über: Dem düster umsschwängerten, Shotwimmelnden und aschenbecherversehrten Raucherlokal. Als ich die Mangosaftschorle zwecks Durststillung die Kehle runter rinnen lasse, freue ich mich noch über meinen erniedrigten Nikotinkonsum ohne angeheitertes Drehvergnügen; meine Begleitung aber sieht lüstern zu mir herüber und holt ihren Tabak aus der Tasche, weil mein neidisch beobachteter erster Zug ihre Selbstdisziplin bereits in den Keller rutschen lässt. Als ich etwas später einen Virgin-Mojito ordere, stelle ich mir mein cleanes Leben eigentlich schon ganz nett vor. Weniger rauchen, weniger Kater, mehr Geschmack, gar nicht mal so schlecht.
Auf dem Nachhauseweg lese ich vergnügt in dem fabelhaften Buch, das meine augenblickliche Lektüre ist. Ein weiterer Vorteil, denn das ist deutlich amüsanter als erschöpft in den krankenhausgrünen Plüsch zu fallen. Ich komme nach Hause und möchte meinen Stundenplan erstellen. Ich bin zu müde. Sehen wir mal weiter. Betrunken den Stundenplan zu erstellen wäre vielleicht eine ganz gute Idee. Aber nicht, dass man dann statt im Hofmannsthal Kurs im Hoffmannswaldau-Kurs landet. Nur so kann ich mir diese wahre Geschichte, von der ich neulich hörte, erklären.

Follower