26. November 2010

Umsteigestationen

Niemand steigt eigentlich gern um, vor allem nicht im öffentlichen Großstadtnahverkehr. Man muss meist warten, oft zieht es wie Hechtsuppe (sollte Sommer sein, auch), grimmig bleibt nur die Möglichkeit, sich einen semiekligen Schokoriegel oder Vanillecafé aus dem Automaten zu ziehen. Der Blick geht auf die Schienen und allenfalls einmal kurz abfällig auf die abscheuliche Winterjacke des Nebenanwartenden. Schweigend harrt man des Daseins in Bahnen und auf dem Weg, immer wozu und immer zuwas.
Es sei denn, man wartet an einer sehr schönen Station, wo die Leute Menschen sind, offen, freundlich und voll herzenswarmer Smalltalkideen erscheinen. Wo die Wände fantasievoll in Farben strahlen und statt Baulärm in der Ferne Vogelgezwitscher in der näheren Umgebung erklingt. Wohnt man gar an so einer Station, so geniest man wunderbare Morgen und wird vielleicht nie in die Bahn einsteigen, um zu Uni/Schule/Arbeit zu fahren. Streicht die U-Bahnstationen! Stellt gut gelaunte Statisten an! Setzt Papageien auf die Telefonmäste! Wir halten die Rädchen an, mit der Macht der herrlichen Bahnstation!
Solange diese noch nicht erfunden ist, sollte man froh sein, wenn das Ambiente so passt, dass man nicht vorbeirennt, sondern das umsteigerische Unbehagen in duldende Ergebenheit der Umstände wandelt.
Ich habe das Glück im Unglück, an meiner Lieblingsbahnstation nicht zu wohnen, sondern demnächst umzusteigen, um nach Hause zu fahren. Ist das nicht famos? Nicht schön wäre es, an einem schönen S-Bahnhof zu wohnen, und dann in eine hässliche Wohnung zu schleichen. Was wäre das für ein Leben, wenn selbst der zugige Wegfahrort schöner als Dein Zuhause ist? Ich aber wohne sehr bald an einem ausgenommen hässlichen S-Bahnhof, in einer außergewöhnlich schönen Wohnung und steige mindestens auf dem Rückweg von der Uni am schönsten U-Bahnhof der Stadt um. Ist das nicht famos? Bevor ich in die Bahn steige, die mich nach Hause bringt, laufe ich im Umsteigeort "Westhafen" zwischen Heinezitaten umher und einer der wenigen guten Schachtmusikanten spielt mir Lieder auf der Gitarre, es zieht nicht arg und der Tunnel ist genauso lang wie in München, nur das wenigstens Berlin drum rum ist. Dann warte ich an der dazugehörigen, fürchterlichen S-Bahnstation, komme am noch viel hässlicheren West-End an, sitze in meiner wundervollen neuen Wohnung und fühle mich wie irgendwas zwischen der Katze der Bremer-Stadt-Musikanten, Heine und Christiane Rösinger.

20. November 2010

The Trick is to wear a skirt

Wissen Sie, ich hatte da so ein Gurkenglas. Mit dem Gurkenglas fing alles an. Ich verbog meine Gabeln, ich tat mir weh, ich flog aus meiner Wohnung, mein Fön stand in Flammen. Ich klemmte das Gurkenglas zwischen meine Beine und drehte und drückte und während alles vor die Hunde ging, behielt allein das Gurkenglas all seine Teile, man könnte fast sagen, es bewahrte Kopf und Haltung, während sich bei mir alles öffnete und verlor.
Das Gurkenglas machte sich in meinem Kühlschrank breit. Während ich schrieb und weinte und trank und ratterte und studierte und meine Haare Luft trocknen ließ und gebückt unterm Wasserhahn stand, während all dieser Zeit hatte das Gurkenglas seinen Inhalt aus grünem süß-sauren Fastgemüse, und grinste breitbäuchig und schadenfroh.
Und dann habe ich das Glas Freunden mitgebracht, die haben das dann geöffnet, und ich ziehe bald in ein WG-Zimmmer, meine Dusche funktioniert, den Handtuchturban kann ich immer besser wickeln, ich habe bei Mc Donalds so laut "Analsex" gesagt, dass der Mann am Nebentisch erschrocken einen anderen Platz aufsuchte. Zuhause lasse ich mich im Faltenrock auf meinem Bett nieder und öffne mein neu gekauftes Gurkenglas. Bald habe ich zwar kein Bett mehr, aber die Süß-Säure des Lebens steht mir wieder offen. Wissen Sie, ich möchte hier überhaupts nichts für irgendetwas verantwortlich machen, Anti-Schicksal und so, aber: Gurkengläser und Faltenröcke sind schon ganz schön cool.

16. November 2010

Und Du stehst unten an der Rolltreppe.

Und Du stehst unten an der Rolltreppe und denkst: Rennen oder Stehen? Schon einmal drüber nachgedacht, langsam die Stufen hinauf zu laufen?
Schon einmal darüber nachgedacht, dass es ganz schön komisch ist, dass Laufen die konventionelle Art ist, sich schrittwärts zu bewegen? Warum denn nicht schleichen oder rennen? Also, wenn wir so durchs Leben gehen, dann schlendern wir doch auch eher, oder Rennen, ob mit oder ohne Ziel, aber wer läuft denn schon durchs Leben?
Durchs Leben laufen hieße wohl, alles mitnehmen, was es so gibt auf dem Weg, den man gerade einschlägt. Aber wer macht denn sowas? Da muss man wohl ein Herz gänzlich ohne Sehnsucht besitzen, um nicht woanders hinrennen zu wollen, oder schlendernd zu verweilen, wo man besser vorbei gehen sollte. Und dann soll man auch immer Aufpassen, dass Schlendern nicht zum Stillstand führt, oder dass man sich in die ein oder andere Sache verrennt. In Wände auf dem Weg zum Klo, Telefonkabel, Zweierbeziehungen, x-mal Gemeinschaften, ins von der Tram angefahren werden...
Nein, Laufen, durchs Leben, laufen. Beim Joggen versuchst Du doch auch nicht gleich loszusprinten, um kein Seitenstechen zu bekommen. Und im Leben gibts das nämlich auch, das Seitenstechen, bild Dir da mal bloß nicht das Nichts ein, nur weil es dann ein Stückchen nach oben rutscht.
Ruhig sollst du atmen, ein und aus. Bloß nicht einschlafen. Wäre auch nicht so vomlebenallesmitnehmentechnisch in Ordnung.
Und dann läufst Du die Rolltreppe hinauf und kriegst Deine Bahn, weil Du sowieso früh genug aufgestanden bist, um nicht würdelos rennen zu müssen.

13. November 2010

Heute Abend geh ich aus.

Heute Abend geh ich aus.
Meiner Wohnung und meinen Gedanken, und versuch mich vom Herz auch ein Stück weit zu entfernen.
I think I need a new one.
Heute Abend geh ich aus.
Ich zieh den Stecker einfach mal ab, schließlich habe ich mich verpflichtet, Energie zu sparen.
Ich werde wunderschön sein, in ein paar Minuten. Niemand wird erahnen, dass ich mich, zu faul, die Dusche reparieren zu lassen, gebückt unterm Wasserhahn gewaschen habe.
Mit drei Schichten und einem Wärmekissen schlafe, weil die Heizung defekt ist.
Wenn die Augen glänzen, die Lichter angehen, ich Rotes trinke, lache, flirte, tanze.
Gehe ich heute abend aus.

11. November 2010

Ich sollte eigentlich gar nicht hier sein...

Ein Satz, den man sich ja öfters denken kann.
Die junge Prokrastinierende, die viel zu viel Zeit am Computer verbringt, und viel zu wenig produziert.
Die unglückliche Mieterin, die auf den Kisten sitzt und wartet, bis jemand ihr ein Dach über dem Kopf bietet.
Die Studentin, die gerade verschlafen hat und nun gemütlich Tee trinkt.
Die Lebenshungrige, die eigentlich mal früh ins Bett gehen sollte, jedoch ausgeht.
Die Trinkerin in der Kneipe...
Und fragen wir uns das denn nicht alle in jeder Situation ständig? Sollten wir uns das denn nicht alle ständig fragen? Ist irgendjemand hier, der genau hier sein sollte?

7. November 2010

Warum Adorno gar nicht kryptisch schreibt.

Ich hab mal eine Wahrsagerin gesehen. Es war ein Sommerabend 2009, und es war auf diesem komischen Rummel in Hamburg, DOM, im Halbdunkel. Wir, mein Bruder und ich, liefen nur über den Rummelplatz, damit ich eine der letzten Zuckerwatten kaufen konnte und weil es eine Abkürzung war. Es gab eine recht gruselige Atmosphäre, denn die Schausteller waren schon am Abbauen, niemand hatte mehr Interesse an einem Fahrgeschäft und man hörte nur noch die Geräusche von klirrendem Geld und leise verhallenden Schritten. Ich konnte in einen Wagen sehen, in dem man sich tagsüber die Zukunft voraussagen lassen konnte; darin saß eine alte, faltige Frau mit stechend blauen Augen. Urplötzlich glaubte ich ihr, dass sie die Zukunft voraussagen konnte und ärgerte mich, dass ich so spät gekommen war.
In Wirklichkeit glaubte ich das natürlich nicht, sondern es war eine kleine Anwandlung an einem Sommerabend, in dieser seltsamen Magie, in der einem ganz anders wird und dann ist es Herbst und man lacht, wie dumm man gewesen ist.
Gestern dachte ich erneut, ich hätte eine Wahrsagerin gesehen. Sie war diesmal kaum älter als ich, hatte ein breites Grinsen, silberne, riesige Ohrringe und braunes, von einem gesunden Lebensstil zeugendes Haar.
"Studierst du Soziologie?" fragte sie, ohne jemals ein Wort mit mir gewechselt zu haben. Aber natürlich klärte sich auch das auf: Sie hatte gehört, dass ich die Worte "Heteronormativität" und "polyamorös" verwendet hatte. Freilich haben diese Worte soviel mit Soziologie zu tun wie Astrologie mit Wissenschaft, allerdings verstand ich ihre Assoziation sofort, wenn ich an meine fremdwortverliebten Kommilitonen dachte und war peinlich berührt.
Ich war etwas betrunken während der Unterhaltung; aber ich weiß, dass sie mir riet, immer fleißig weiterzuschreiben, und ich fragte, als sie schon im Türrahmen stand, mit was sie denn gern weiter machen möchte: "Malen und Saxophon spielen" rief sie, lächelte ein bisschen verschroben und irgendwie hielt ich sie zum Schluss dann doch noch für eine Wahr-Sagerin.
Als ich fleißig weiter schrieb, fragte mich ein Kommilitone, welchen Zweck ich damit verfolgte, ein Reimwort zu verwenden, dass er erst nachschlagen müsse. Ich las das Gedicht, welches die Verwirrung in ihm ausgelöst hatte, fünf mal, es besteht nämlich nur aus 12 Worten, von denen 11 absolut nicht zum Nichtverständnis in Frage kommen, bis ich auf die Idee kam, dass er wohl "Grind" meinen musste. Dieses verwende ich allerdings so selbstverständlich, dass ich selbstverständlich gar keinen Zweck verfolgte, sondern mal wieder nur ein Inneres ausgekotzt hatte. Ein "Grind" ist eine verkrustete Wunde, und kann sich jemand ein Gedicht vorstellen, in dem "verkrustete Wunde" vorkommt? Ja, gut natürlich kann sich das jemand. Aber ich möchte "Grind" schreiben und "butzeln" und "Mutzel" und "Trumm" und auch mal "Heteronormativität" und "Identitätsfeminismus", weil das die Sprache ist, mit der sich meine Denkmuster ausdrücken. Vielleicht sollten wir uns von der Vorstellung verabschieden, dass Kommunikation einfach und selbstverständlich ist und Nachfragen peinlich. Sogar vor SoziologInnen.

6. November 2010

Seriöses Knäckebrot und konservative Gemüsesuppe




Da ist so ein Trumm Knäckebrot. Wurst liegt drauf. Irgendein Fleischkäs, eine Scheibe Römerbraten vielleicht. Und der kleine Junge hat es sich mit Butter beschmiert, und er freut sich darauf, es zu essen. Denn den Aufschnitt hat die Mama mitgebracht, die ist Fleischereifachverkäuferin und das Knäckebrot, das ist seriös. Lehrerinnen essen sowas, Lehrerinnen und andere schöne, strenge, seriöse Geschöpfe. Geschöpfe zum Hochgucken und Auslachen.
Da guckt ein mittelgroßer Junge ein großes Mädchen an, wie es vor ihm steht, einen kleinen Löffel in der Hand, die Augen erwartungsvoll weit aufgerissen. Er nimmt den Löffel aus ihren zarten Fingern, pustet, probiert und sagt: "Eine gute Gemüsesuppe. Eine richtig gute konservative Gemüsesuppe." Und er versteht nicht, als ihr Lächeln aus den Lachmuskeln nach unten fällt und sie spöttisch wiederholt: "Eine konservative Gemüsesuppe."
Da ist eine Frau, die will Kartoffeln kochen. Sie legt die Kartoffeln alle miteinander auf ein großes Brett. Sie schält und schneidet sie. Die letzte, die scheint ihr irgendwie unförmig, bald möchte sie diese wegwerfen. Dann jedoch fällt ihr die besondere Art der Unförmigkeit auf: Es ist eine Herzkartoffel! "Mein Gott, auch noch eine Herzkartoffel", stöhnt die Beschäftigte. Sie schält umso genüsslicher die hübsche Rundheit des Erdapfels entzwei. Geschält sieht das romantische Gemüse schon anders aus. Hässlich. Sie lacht grimmig und hackt es in kleine Stücke. Herzen in kleine Stücke hacken, wann bekommt man schon einmal diese Gelegenheit? Einiges fällt neben den Herd. Es wandert in den Müll.
Frau isst. "Ich habe mich an einer Bohnenfaser verschluckt!", denkt sie und muss husten.

3. November 2010

Und einmal, beim Zähneputzen, da habe ich über Liebe und Romantik nachgedacht.

Da habe ich in den Spiegel geguckt. Und dann fing mein kopfiges Köpchen an zu rattern, während das Herz es mit fleißigen, fördernden Stichen antrieb.
Aber ich habe ja Zähne geputzt nebenbei, und so blieb alles etwas klar, denn was gibt es Unklareres als den Vorgang des Zähneputzens, bunte Borsten auf weißem Knochenmaterial?
Ich habe so gedacht: Gängig ist so die Vorstellung, man liebt auf Zeit. Schon auch mal ein bisschen länger, so 10 Jahre oder so. Und dann weint man ein paar Monate. Dann steht man auf, und liebt wieder irgendwen. Bis das auch wieder vergeht, das spinnerte.
Auf der Buchmesse in Leipzig hat ein Autor, dessen Namen ich vergessen habe, gesagt: Die Liebe ist ein Zustand zwischen Besitz und Nichtbesitz, der nie länger als 12-18 Monate dauern kann. Ich hab ihm das geglaubt damals. Vielleicht dachte ich, ich weiß was Liebe ist.
Ich habe dann erst einmal ausgespuckt und den blauen Flecken im Waschbecken beobachtet. Wie er so auseinanderfließt, leider nicht auf den Ausguss zu, sondern halt einfach so da kleben bleibt und das Waschbecken verunziert.
Dann habe ich die Bürste wieder auf die Zähne getan, in regelmäßigem Rhytmus geputzt und gedacht:
Wenn das so wäre, mit der Liebe, was unterscheidet sie denn dann von körperlichem Begehren? Mir ist wohl bewusst, dass schön geformte Schenkel vielleicht nur 12-18 Monate reizen, dann sind sie ein bisschen, wie das ehemals so wundervolle, einzigartige T-Shirt, dass man dann aber etwas zu oft getragen hat, und nach 12-18 Monaten ist es einfach nur etwas, das den Kleidersschrank noch voller macht, denn inzwischen hat man ganz viele andere tolle T-Shirts gefunden. Aber es jetzt wegzuschmeißen, wäre auch irgendwie unökonomisch, es ist ja noch ganz gut. Also trägt man es nicht mehr jeden Tag, ab und zu darf es mal noch mitkommen, ansonsten am Besten dafür sorgen, einen abwechslungsreichen Ausgleich zu finden, um Einheitsgarderobe zu verhindern. Wenn es dann ein Loch hat, irgendwann, dann muss man mal sehen, ob man das noch flicken kann. Aber das wäre ziemlich müßig und so ist die Altkleidersammlung auch eine Option.
Ich trete zu nah ans Waschbecken und ein Fleck landet auf meiner Hose.
Woody Allen sagte mal, die meisten Menschen wären niemals in ihrem Leben verliebt gewesen, wenn sie nicht so oft etwas im Fernsehen darüber gesehen hätten. Naja, mhm, bei all den Partnerschaften, die ich so sehe, denke ich mir wirklich, wie soll dieses wundervolle Ereignis auch so oft eintreten? Es ist doch wahnsinnig viel Glück und Zufall dabei, dass zwei Menschen sich treffen und dieses Erlebnis haben, diese leise Ahnung, dass da gerade etwas in den Kopf und ins Herz dringt, einen beeinflusst, die Welt mit ganz anderen Augen sehen lässt, man irgendwie glaubt, man sei abhängig vom anderen und dieser von einem, also nicht finanziell oder so, sondern einfach, das Herz hängt an und der Rest hängt zwangsläufig dran, weil der andere das Leben so bereichert und Reichtum ja schon erstrebenswert ist und man sich ganz von alleine jeden Tag sehen möchte, weil man das gar nicht aushält vor Sehnsucht... Und wäre das nicht irgendwie ein trauriges Leben, wenn etwas, das bereichert hat, wegfällt, auch wenn es nur 1-18 Monate da war...Würden Paare sich wirklich lieben, bräuchten sie dann verabredete Tage in der Woche, die sie zu zweit verbrächten? Ausgleich? Würden sie nicht einfach nach getaner Arbeit, unbeachtet der Uhrzeit, zum anderen fahren, weil sie einfach bei ihm sein würden wollen? Und könnte die Liebe dann ganz vernünftig aufhören, mit einem letzten Treffen, einem Anruf oder gar einer SMS? Ist so viel Kraft wirklich vorhanden, bei all meinen Mitmenschen, sich 3 bis x mal zu verlieben und zu entlieben? Nicht schlafen und essen zu können? Sind alle anderen eigentlich stärker als ich? Oder ist es doch eher so ein Vertrag, den sie Liebe nennen, eine Schnittmenge aus gemeinsamen Interessen und körperlicher Angezogenheit?
Mein Mund war ganz voll von Zahnpasta und Schaum. Ich guckte in den Spiegel und sah, ich hab Schaum vorm Maul und dann hab ich gelacht, denn die Liebe und Zahnpasta, das sind schon auch witzige Angelegenheiten! Wie sowas kleines, schleimiges, sich so wichtig machen kann! So eine Unwichtigkeit so wichtig wird, wenn sie ausgegangen ist! Sich bereichern durch einen Menschen und dann behaupten, man sei eigenständig und unabhängig.
Ich spuckte diesmal direkt in den Ausguss.
Ritsch-Ratsch-weiter Zähne putzen...
Aber wenn man sich nicht bereichert durch einen Menschen, wenn es viel mehr wichtig ist, nicht allein zu sein, und nicht gar so ungemeinschaftlich, sondern aufeinander kulturell und sozial eingestellt nicht allein zu sein und man dann nach ein paar Jahren wieder jemand anderen gefunden hat, mit dem man nicht allein ist, der einen auch irgendwie bereichert, aber von dem man nicht abhängig ist, was unterscheidet dann die Liebe von der Affäre? Dass man seine Freunde vernachlässigt, dick wird und statt auszugehen, einen DVD-Abend nach dem anderen schiebt? Oder dass längere, distanzlose und stabilere Beziehungen geeigneter sind, wenn man sich reproduzieren möchte? Weil man sich dann die Aufpassarbeit einteilen kann? Weil einer dann entscheiden kann, zu Haus zu bleiben? Naja, schon klar. Einer muss ja rackern gehen und seinen Beitrag zur Gesellschaft leisten. Ist dann schon sozial verantwortungsvoller, wenn man sich da seine Entlastung sucht, relativ regelmäßiger Sex inklusive.
Ich spucke noch mal treffsicher und lege die Zahnbürste dann zurück zu den vielen anderen.
Es ist schon ein seltsam Ding: Einen einzigen Freund oder eine einzige Freundin zu haben ist ziemlich langweilig und schränkt ein. Aber in der institutionalisierten Liebe ist es das menschlich fördernste, wenn man zu zweit bleibt? Partnerschaft? Irgendwie hört sich der Begriff so gar nicht nach Liebe an, eher nach einer Firmenfusion oder so.
Ich bleibe noch eine Weile im Badezimmer.
Naja, wenn man verliebt ist, hat man ja kaum einen Blick für einen anderen Menschen. Oder doch? Aber eben nicht gleichzeitig, sondern über Jahre hinweg? Ist es eigentlich verwerflicher, jemanden mit tiefschürfenden Gedanken zu betrügen, oder tiefschürfenden... Naja, lassen wir das. Verwerflich, ich bitte mich. Überhaupt, die schwierigste Beziehung habe ich eigentlich mit mir selbst. Nie bin ich zufrieden, immer könnte ich mal etwas mehr an mir arbeiten, mir etwas mehr Beachtung schenken, mir einen Ausgleich suchen, mehr Perspektiven und Kompromisse zulassen. Nicht einfach mal etwas in Ruhe lassen, immer habe ich was zu meckern. Ich bin so ein Kräfte zehrendes, lang andauerndes Projekt!
Die Liebe dagegen, so wie ich sie fühle und beschrieben hab, die ist doch einfach da oder nicht. Da gibt es nichts zu überlegen, ob die gut oder schlecht ist, kurz oder lange. Wann sie anfängt und wann sie aufhört, das kriege ich schon mit, empfindlich, wie ich bin. Was hat denn ein Partner damit zu tun? Geht den doch nichts an.
Wunsch nach besinnlicher Zweisamkeit ist ein Konstrukt. Gefühle sind zu präsent, um eins zu sein. Und zu kompliziert, um im 5 Jahrestakt anzufangen und aufzuhören. Das sind so die Selbstläuferprojekte. Partnerschaften, naja, wer sonst nichts zu tun hat, im Leben.
Ich sollte mir mal wieder eigene Zahnpasta kaufen, anstatt sie von meiner Mitbewohnerin zu klauen.

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