17. Juni 2012

They sentenced me to twenty years of boredom.

„Du kommst doch auch aus der Künstlerecke? Siehst jedenfalls so aus.“ Ich habe gelernt, wie eine Dame milde zu lächeln, und mir meinen Samtrock glattzustreichen.

Er trägt eine Baskenmütze, sandfarben, wie seine gelockten Haare, die sich beinahe um seine selbstgedrehte wickeln, die er sich mit einem neckischen Augenaufschlag anzündet. Ich tue ihm nicht den Gefallen, zu sagen: „Nö, Du wohl aber.“ Sondern versuche ein anderes Thema anzuschlagen. Wir haben ausführlich abgeglichen, dass wir die selben Länder bereisten, er jedes zweite gesellschaftliche Phänomen als „ethnologisch interessant“ empfindet, und für mich ein „soziologisch auch“ hinzufügt. Musikinstrumente. Museen. Kommunismus. Neben uns steht eine zierliche mit kurzem Pony und langem Stoffrock, „die lebt einfach nur“ und findet's „einfach nur schön hier“ und sie hat mich, die „Renate aus dem Museum,“ kennen gelernt, als sie meine Tasche abfotografiert hat. Ein Jutebeutel mit einem Mädchen, das Herzen kotzt. Sie möchte gern meinen Platz einnehmen, jetzt, sie gibt mir das zu verstehen, mit jedem Klappern ihrer Espandrillas. Das kann ich aus dem Augenwinkel sehen, während sie gleichzeitig ihrer Freundin, dem „Mäuschen“ laut genug flüstert, es langweile sie hier, niemand, den sie jetzt ansprechen möchte und zuhören macht sie müde.

Ich will doch längst selbst gehen, ich trotze ihr eigentlich nur, ihrer sich selbst reizend findenden Attitüde, ich weiß gar nicht warum. Vielleicht finde ich mich sogar selbst reizend dabei. Gieße mir schließlich seufzend Wodka in die Cherry Coke, komme eine halbe Stunde später zurück und höre, wie Leinenrock und Baskenmütze sich wechselseitig bestätigen, es füge sich schon, man müsse nur offen bleiben, nicht zu Hause herum sitzen, dann ergebe sich schon alles.

Wiederum ein Klogang später, ein paar Floskeln über Helsinki ausgetauscht, im einzigen englischsprachigen Gespräch auf der Party, mit einem Finnen und einem Isländer, erklärt mir eine aus der Kunstecke ihre Theorie des kulturellen Austauschs: Gleichgesinnte Europäer tauschen sich in Polen anders aus als in Deutschland. Auch sie hat ein Jahr in Berlin gewohnt.

Es soll endlich getanzt werden, denn die Gespräche machen die Menschen müde, das Nicken strengt an, das vom Gegenüber begeistert die Augen aufreißen, das Fragen nach Zigaretten und Feuerzeugen, die dritte Bestätigung von der vierten verschiedenen Person, dass man nicht wisse, wo es hingehe, aber man sei sicher, irgendwann sei man zur richtigen Zeit am richtigen Ort.

Die Luft ist sommerlich kalt, und so ein Balkon ist rar in Krakau, man kann über den Hinterhof über die Dächer blicken, den Rynek, und irgendwo dahinter muss Kazimierz liegen. Dorthin war mein Amerikaner, meine Begleitung, die keine blieb, weil ich mich verspätete, zurück geeilt, es ist ein gutes Stückchen Weg bis dahin, vom Außenring des grünen Gürtels, der die Innenstadt in spezifischer Weise umspannt, und tagsüber den täglichen Gängen etwas märchenhaftes verleiht, nachts gemieden werden muss. Stadtstreicher, verrückte Poeten, die Gefahr, auf Taubenfutter zu treten. So genau weiß ich das nicht. Ich war erst einmal hier, nachts. Die Karmelicka kann ich noch nicht sehen, ich wähne sie hinterm modernen Theater. Die Karmelicka ist nicht lyrisch, aber sicher, die Karmelicka ist die halb-ruhige Vene in den Adern des gerade von mir bewohnten Körpers, die mich heimführt, später.

Renate, einen Uwe soll es hier auch geben, der eine Frau geheiratet hat, deren Opa in Auschwitz war, weshalb er sich jeden Freitag zum Beit Krakau einfindet. „Have you met Uwe yet?“, fragen sie mich, sie sprechen Englisch, in der Hoffnung, sie wirken dann wie echte ErasmusstudentInnen, und jemand verirrtes klinkt sich dann vielleicht ins Gespräch. Es verirren sich viele, sie wollen eigentlich upstairs, und dahin bewegen sich alle, gemächlich, in dieser Wohnung kotzt es sich nicht gut. Wieder ein paar selbst gedrehte, ein Österreicher mit Idealismus, sein Studiengang wird abgeschafft, er wähnt sich interessante Dinge sagen, und zum Teil hat er auch Recht, er kann nicht viel dafür, dass ich müde bin und am Stück in Floskeln spreche. Die Gastgeberin hat inzwischen einen neuen Haarschnitt, ich habe mir meine Jacke über die Schultern gezogen. Die langberockte, die einfach nur lebt, die alles hier schön findet, die nicht weiß, was sie in einem Jahr macht, aber alles so schön, sitzt allein auf dem schmalen Bett in diesem großen Zimmer. Zu dritt wohnen sie hier, es befinden sich Bilder von nackten Frauen an den Wänden, Pin-up Style fünfziger, in einem Hostel haben sich die Fremden kennen gelernt, denen es nicht schwer fiel, Freunde zu werden. Sie sprechen sogar die selbe Sprache.

In Lingua-Franca Englisch träume ich schon lange nicht mehr, die Nachtmare sind einer Sprachlosigkeit gewichen. Ich trotte an den letzten Heimgängern mit rot-weißen Schals vorbei, Polen hat verloren heute, wir haben verloren heute, wie auch immer man es mir sagte, man sagte es mir. Es ist ein erstaunlich ruhiger Abend für ein Wochenende, noch niemals ist mir aufgefallen, dass es so wenig Straßenlaternen hier gibt. Morgen werden die Bäckereien wieder geöffnet sein, 7 Zloty werden mir teuer vorkommen, für zwei Gebäckstücke, doch es ist Sonntag und ich werde sie singen hören.

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