22. September 2012
Und übrigens: "Die Aubergine"
Helene existierte nicht, denn ihre Beine waren gebrochen.
Sie hatte Paul abgeschossen, denn seine Zähne waren hässlich.
Er hatte gelacht, wenn er über Poltik sprach, wenn er über seine kleinen Gedanken und Utopien fantasierte, wenn er sich zum Gehen aufrichtete,
er sagte
„Voll Geil, ey“ und kniff die Augen zusammen und lachte in dieser fiesen Tonart. Wie ein Erdhörnchen, wie ein bekiffter Junge und all das wäre noch zu ertragen, wenn er nicht die Zähne entblößte! Klein und spitz, klein und spitz wie die Brüste der gemeinsamen 13-jährigen Tochter Mirjam.
Helene war an die Grenzen des Humanismus gegangen, hatte Erde durch Wasser getauscht, und wo war sie gelandet? Bis in den Rachen des Menschengeschlechts und es war nich der faulige Atem, der sie betäubte, sondern der Anblick ihrer Haifischzähne.
Sie hatte sein Geschlecht lieben gelernt, den auberginenförmigen Penis, sie hatte leidenschaftlich mit ihm geschlafen, sie hatte es ertragen, dass er nicht tief in sie kam, sie hatte es ertragen mit der Tiefe seines Geistes und oh, wie
hatte sie gegen seine Zähne gestoßen.
Paul, Paul, du hast mich nie geschlagen, nie dominiert, immer hast Du gelacht, immer wolltest Du Themen aussparen, nie konntest du Dich an meiner Andersartigkeit erregen. Paul!
Ich hab dir einen geblasen, als Du aufgeregt warst, vor deiner Examensprüfung. Ich habe es ertragen, wenn du an meinen Brüsten herumbissest, bis es blutete. Ich habe deinen fehlenden Humor ertragen, und nun wagst du es noch, zu lachen?
Helene war mittelgroß, hatte schulterlanges Haar, das sich noch nicht völlig zwischen Blond und Grau entschieden hatte und so vielleicht etwa ockersilber genannt werden konnte und hatte unaltersgemäß die vorderen Strähnen längs des Scheitels mit billigen Plastikspangen aus der Stirn geclippt.
21. September 2012
24/24
Seit vier Tagen bin ich 24 und es ist gut, zurückblicken zu können und zu wissen, wo die letzten vier Jahre geblieben sind. Und zu wissen, wo die nächsten zwei bleiben werden. Danach? Aber das Schöne am älter werden ist, dass die Zeit schneller vergeht. Und man mummelt sich ein, macht es sich gemütlich drinnen, und guckt ungemütlich aus dem Fenster und weiß, dass Frühling werden wird, wie es 24 Frühlinge gab. Und dass 12 Monate gar nicht lang sind, und vielleicht auch eine blöde Skala. Mit der Zeitrechnung Praktikum beginne ich ein neues. Und dann vielleicht wieder eins. Bis ich ungemütlich werde.
16. September 2012
Ich trag Pink, und das aus politischen Gründen.
Ein Freund hat mir mal zugetragen, er hätte zu einer gemeinsamen Freundin gesagt: "Manchmal ist Regine eine richtige Tussi, ich meine das aber liebevoll."
"Ich trage Pink ja auch aus politischen Gründen", habe ich dann entgegnet, obwohl es eigentlich um etwas anderes ging. Und so meine ich auch den Titel "Schlampe" liebevoll, aber nur, wenn ich ihn mir selbst zugestehe. Oma und Mutter verwenden ihn gar weniger liebevoll, wenn sie damit auch weniger auf meine Sexualität oder mein äußeres Erscheinungsbild hinweisen, denn auf den Zustand meines Zimmers.
Aus all diesen Gründen, und noch viel mehr fand ich mich heute auf dem Slutwalk 2012 ein, nachdem ich den ersten Berliner Slutwalk im Jahr 2011 verpasst habe, weil ich mich nicht in Deutschland aufhielt.
Der Tag des Slutwalks begann sehr nervig, da ich ja schon wieder erst seit kurzem im Lande bin, noch einiges zu regeln habe, und daher das Transpi mit dreien der besten Bikini-Kill-Zeilen, vielleicht der ganzen Musikgeschichte überhaupt:
"Just 'cause my world, sweet sister, is so fucking
Goddamn full of rape--Does that mean
My body must always be a source of pain?"
in unangebrachter Eile dahinschmierte, wobei mich die zerbrochene Acrylfarbendose mit einem Schnitt daran erinnerte, dass ich sie viel zu lange unbeachtet gelassen hatte.
Eindruck machte es anscheinend trotzdem- zumindest bei Photographen der dpa:
http://www.bz-berlin.de/multimedia/archive/00383/slutwalk-berlin8_383480a.jpg
Aus der Eile resultierte jedoch auch ein erstes positives Erlebnis hinsichtlich Solidarität auf dem slutwalk: Ein paar MitdemonstrantInnen boten mir kurzerhand ungefragt ihren Edding an, nachdem sie nur die Rückseite meines Schildes sahen, auf der bereits die Vorzeichnung zur nichterledigten Songfortsetzung:
"NO NO NO! I believe in the radical possibilities of pleasure, Baby!" geschrieben stand. Auf diese kurze Welle der Liebe und Anerkennung, als ich ihnen die hoffnungsgrüne andere Seite zeigte, folgte die Ernüchterung: Der Platz vor dem Brandenburger Tor war viel mehr mit TouristInnen und FotografInnen gefüllt, als mit SlutwalkerInnen. Erstere machten sich aber umso ungenierter über die Protestierenden her, schossen Photos, bedrängten uns mit ihren Kameras, als besagtes Foto (mit unserer Erlaubnis!) entstand, schrie ein Mann: "Los, und jetzt tanzt!"
Irritierend, weil ich mir für diesen Tag ganz egozentrisch sehr viel Kraft sammeln wollte, stellte er doch neben allem universalen Engagement auch eine persönliche Verarbeitung dar, und mich daher nicht als awareness-Person oder Ordnerin gemeldet hatte, blieb mir nun nichts anderes übrig, als selbst aufdringliche FotografInnen darauf hinzuweisen, doch bitte wenigstens vor und während der Demo zu fragen, ob die Demonstrierende bereit war, fotografiert zu werden. Offensichtlicher Zoom auf die Brüste, Verfolgung- nach dem Motto: Alles muss, nichts kann wurde die Dokumentation in einem zynischen Sinne ernst genommen. Einer der Sätze, die mir bitter in Erinnerung bleiben werden, war der einer condemonstrierenden Freundin: "Ich trage heute das erste Mal seit sechs Jahren Ausschnitt, und ich weiß genau, warum." Und auch ihr Ringen mit dem mehr als verständlichen Bedürfnis ihre Jacke anzuziehen, um sich vor Blicken zu schützen, und der Überzeugung, dass es richtig ist, so zu bleiben, wie sie war. Und sie blieb.
Und ich blieb pink, mit dem Räuberhöhle-Supergirl auf der Brust und der Scham auf Grund meines Zögerns, die VeranstalterInnen zu unterstützen und dem Vorhaben, dies nächstes Jahr auch offiziell zu tun. Es fehlte wahrhaft an Personal, und die Stunde, bevor der Lauf startete, wird mir als eine Stunde des Zorns und der Schutzlosigkeit im Gedächtnis bleiben. Während des Laufs selber wiesen die RednerInnen darauf hin, dass auch das Belästigen durch ungewolltes Fotografieren eine Form der Machtausübung darstellte, gegen die sich der Walk richtete. Eine gute Idee war der safe-space hinter dem zweiten Wagen, bei dem mehrfach darauf hingewiesen wurde, dass hier fotografieren verboten war. Von einem Beobachter worde ich allerdings darauf hingewiesen, dass der Begriff rape-culture verstörend wirken konnte, für denjenigen, der ihn nicht verstand- so wie er. Die Diskussion um eine integrierende und überzeugende Repräsentation der Ziele des Slutwalk- Bekämpfung der Verharmlosung von sexueller Gewalt, von victim-Blaming und einer Gesellschaft, die sexuelle Belästigung und Gewalt institutionell und sozial fördert, und der Einforderung von Selbstbestimmtheit von Körper und Sexualität- bleibt also noch weiterzuführen.
Auch die Redebeiträge ließen noch einiges an Diversität und Inhalt- zum Beispiel Intersektionalität, gender-issues, die Diskussion um den Namen- zu wünschen übrig. Dies ist aber nicht nur Kritik, sondern auch eine Aufforderung an mich selbst und andere, denen es in ihrem Empfinden ähnlich ging, sich nächstes Jahr noch aktiver, als dies ohnehin schon mit der selbstbewussten Teilnahme am Walk getan wird, an der Demonstration zu beteiligen. Ich kann meine-in Bedingtheit beschämte- Erfahrung des diesjährigen Slutwalks nur als Ermutigung beschreiben, ihn als Teil der Biographie, zur Forderung der eigenen und fremder Rechte, zum Schutz und zum ins Bewusstsein rücken mitzuerleben.
Gefreut haben mich neben der eigenen Selbstbewusstseinstärkung und der Verfestigung von Konfliktbewältigungststrategien auch die verschiedenen TeilnehmerInnen des slutwalk. Mehrere Gender und Altersgruppen waren vertreten, sowie die unterschiedlichsten Kleidungsstile, weitaus bunter und individueller als sich es die brüsteheischende Beobachterposition wohl gewünscht hätte. Zum Lieblingstranspi kürte ich: "Mein schöner Arsch ist auch zum Furzen da" und zum Lieblingst-shirt-neben meinem eigenen, danke Phillipi und Lena an dieser Stelle- die KatzundGoldt-Rumpfkluft mit dem Slogan: "Stehen Sie auf und berichten Sie mir laut und deutlich von ihren sexuellen Erlebnissen!"
Lieblingsmusik: Das Trommelteam, dass in ihrer Abschlussrede auch das Engagement gegen jegliche Diskriminierung betonte. Und sonst war es musikalisch auch spitze. Weiteres künstlerisches Engagement-auch von mir!-wäre wünschenswert, Gegenphotographie (das nächste Mal Kamera mitnehmen!) als alternative Form der Berichterstattung zum Beispiel. Performances, um die Zeit vor der Demo nicht mit angegafft werden und sich ärgern zu verbringen, und die freundschaftliche Stimmung der Demonstrierenden nicht schon im Vorhinein zu trüben. Aber auch ganz pragmatisch könnte man- ich- diese fördern, zum Beispiel, in dem man gemeinsame Bahnfahrten plant, denn es ist durchaus nicht angenehm, als -vermeintlich-einzige slut im öffentlichen Verkehrsmittel von Charlottenburg nach Mitte angegafft zu werden. Beziehungsweise gemeinsam Strategien zu entwickeln, wie man dies allein bewältigt, und sich keine Sorgen machen muss, dass die FreundInnen wohlbehütet zu Hause ankommen. Ebenfalls eine Notiz an mich gewesen ist es, sich die Laufroute im voraus sorgfältig einzuprägen, um späteren Dazustoßenden telefonisch problemlos Koordinaten durchgeben zu können. Es wäre auch ratsam, sich mit eigenem Informationsmaterial zum Verteilen zu versorgen, Transpiworkshops zu organisieren- zum offiziellen konnte ich nicht, und das wird anderen wohl auch so gegangen sein, sich mit genügend Softgetränken und Proviant auszustatten, und zu überlegen, wem man Foto und Interview gestattet, oder auch nicht. Wahrscheinlich ließe sich die Liste endlos fortsetzen, aber ich möchte mich einmal auch loben: Nachdem mir heute eine Freundin steckte, dass es Ikeaintern nicht gestattet ist, die Geschirrtransportkartons des Möbelhauses zweckzuentfremden, freue ich mich, dies gewinnbringend getan zu haben, in dem ich aus einem ebensolchem ein Transpi baute, dass sich als sehr stabil und tragbar erwies. Man kann damit auch ganz im Räuberhöhlestil während der Demo ein Puppentheater veranstalten, es beim Tanzen beweglich halten- und ganz im Ikeasinn auch wiederverwenden: Als verdammt cooler Geschirrtransportkarton! Ein reiner Bikini-Killer eben.
Der Slutwalk Berlin 2012 hat vor allem bewiesen, dass er nötig ist- Reaktionen von BeobachterInnen und JournalistInnen haben das schon heute gezeigt. Ich bin gespannt und bereits grundverärgert bei der Vorstellung, was alles bis zum nächsten passieren wird.
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