25. Juli 2010

Oh, wie gern hätte ich ein Boot.

Denn ein Boot zu haben, ist wohl schmerzhafterweise schon am allernächsten daran, im Wasser zu leben. Sofern es nicht die Möglichkeit gibt, eine Seejungfrau zu werden, muss ich mich wohl mit diesem Lebensziel begnügen. Wenn die andere Möglichkeit existiert, sagt mir Bescheid. Solange ich unter Wasser auch irgendwie schreiben kann, zieh ich sofort um.
Eine Freundin hat mir neulich die wunderschöne Geschichte ihrer Eltern erzählt. Die beiden sind schon sehr lange verheiratet und verbringen drei Tage die Woche in der Wohnung ihrer Mutter und zwei Tage lebt der Vater auf seinem Hausboot. Das ganze spielt sich in Amsterdam ab.
Träumte ich immer von einem Leben wild und frei allein, in einer winzigen, verkramten, aber schönen Wohnung in einer großen Stadt, einer solchen Wohnung, in der ich mich zwar wohl fühlte, doch nicht zu sehr zu Hause, denn mein Zuhause wollte fürs Gesamte die Welt sein, und für den Alltag meine Stadt, so träume ich tatsächlich temporär von einem solchen Leben auf dem Hausboot. Wo ich mit mir, meinen Gedanken und dem Wasser allein sein, um meiner Rastlosigkeit nachzukommen hin und wieder durch die Gegend schippern und dennoch ab und zu anzulegen würde, und mich auf jemanden freuen, der an Land ist und mit beiden Beinen auf der Erde verwurzelt. Nicht im Sinne von bodenständig, sondern von real, lebendig, konturenvoll. Ich selbst neige nämlich ein bisschen dazu, verwässert und wild durch die Gegend schwimmend zu sein, die Wellen ein bisschen zu sehr um mich selbst schlagend. Das finde ich nicht besonders schön, immer, nur manchmal.
Doch nur dieses Leben erreichen zu wollen, das scheint mir ebenso vermessen. Daher begnüge ich mich erst einmal damit, die Emanzipation der Herzen und deren Erreichung durch mein Tun- und damit meine ich durchaus Schreiben, Theater spielen, Textilien bemalen, Gedichte lesen, emotionalen Dringlichkeiten nachkommen- im Kopf zu behalten und am Wasser entlang zu laufen.
Ich empfehle in Berlin sehr, dies am Charlottenburger Kanal nahe des Schlossparks Charlottenburg zu tun. Es lässt sich hier auch hervorragend an einen Baum setzen, auf das Wasser starren oder lesen. Zum Beispiel die Biographie der Else-Lasker Schüler von Kerstin Decker "Mein Herz- Niemandem". Wie das Leben und die Briefe dieser kaputten Frau mein Herz zerspringen lassen! Mit ihrer Lyrik konnte ich noch nie so viel anfangen wie jetzt. Wie konnte Kafka sie nur als "Kuh vom Kurfürstendamm" bezeichnen?
"Kuh" ist ein frauenabwertendes Schimpfwort. Ich glaube, die Lasker spürte genau wie ich, dass es nicht gut war, sich durch sein "Frau-sein" zu definieren und erfand daher den Prinz von Theben, für den ihr Vater, der sie in Hosen steckte, den Weg geebnet hatte. Ebenso unangenehm war ihr ihr Frau-Sein, in den Augen der Gesellschaft und zu bestimmten Momenten, wohl bewusst und dass es vorteilsbringend, aber stechend sein kann, wenn das Frau-Sein ab und zu das Einzige zu sein scheint, das man hat. Dann hätte man gerne einen (Fisch-)schwanz und würde sich ins Wasser begeben.
Oh, wie gern hätte ich ein Boot.

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