17. September 2010

Ich mag M.

Ich mag meine Friseurin. Sie heißt M.
M. arbeitet in einem kleinen Discounterfriseur in Charlottenburg, so einem, der ohne Beratung gedacht ist, absichtlich ohne jeglichen Dekor gehalten, so dass man von Anfang an den Eindruck gewinnt, man spare hier erheblich. Hier gibt es "Gala" statt "Brigitte" zu lesen und angeboten wird einem ein Glas Wasser, aus der Leitung, keins mit Kohlensäure und schon gar kein Kaffee. Ein Styling mit jeglichem Klimbim ist ebensowenig drin wie ein aufgedrängter Small-Talk über Berufsleben und Ferienplanung. Hier werden meine Haare geschnitten und gefärbt, für nichts anderes bin ich gekommen. M käme niemals auf die Idee, mich zu fragen, "ob alles o.k. sei", wie ich die Frisur denn nun fände, ebensowenig, ob ich denn nicht lieber diesen oder jenen Trend mitmachen möchte. M. hört mir zu, und setzt das von mir schwerfällig artikulierte Bild in meinem Kopf dann in eine 1 A- Frisur um. Scherze macht M. nicht mit mir, sondern mit ihren Kollegen. Gern auch auf meine Kosten, denn als ihr Kollege F. mir einmal enthusiastisch Farbe auf den Kopf pinselte, in der Einwirkzeit einen lockenköpfigen Pubertätssympathen in einen kurzgetollten James Dean verwandelt, so begeistert ist, dass er mich darüber eine ganze Weile vergisst, macht es M. großen Spaß zu spekulieren, inwieweit sich diese Unachtsamkeit auf das haarige Ergebnis auswirken könnte, ob denn nicht die Gefahr bestehe, dass ich inzwischen blauschwarz schimmere.
In den Gesprächen, die ich zwischen ihnen mitbekomme, erfahre ich dann auch etwas über M. Dass sie ihren Führereschein machen möchte. Dass sie keine Zeit hat für den Erstehilfekurs, den zweitägigen. Dass sie die Musik nicht mag, die auf "Paradiso" läuft. Zugegeben, das ist nicht viel und doch glaube ich, M. soweit zu kennen, dass ich sie mag.
Während M. mir die Kopfhaut massiert, fühle ich mich angenehm der Welt unter meinen Haarwurzeln nah und tauche ein in die unerkundeten, endlosen Tiefen meines Nichts.
M. zeigt keinerlei Anerkennung für mich als Person, für sie bestehe ich nur aus einer Kombination von Augen-, Haut- und Naturhaarfarbe und doch zwinkert sie mir zu und erkennt mich jedes Mal, sobald ich im Türrahmen erscheine.
F. erzählt mir irgendeinen Quatsch über meine schönen Augen, die perfekt zur neuen Haarfarbe passen, M. steckt danklos mein Trinkgeld ein und fordert mich auf, mit dem Nachschneiden nicht zu lang zu warten.
Der Unterschied zwischen M. und F. ist ein bisschen wie der der deutschen Übersetzung der Zutatenliste eines libanesischen Weichgetränks von der englischen, von der mir eine Bekannte heute erzählte.
Deutsch: Destilliertes Wasser, im Geschmack angestiegen und datiert.
Englisch:Distilled Water, Rose-Flavour, Dates.

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