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16. September 2012

Ich trag Pink, und das aus politischen Gründen.

Ein Freund hat mir mal zugetragen, er hätte zu einer gemeinsamen Freundin gesagt: "Manchmal ist Regine eine richtige Tussi, ich meine das aber liebevoll." "Ich trage Pink ja auch aus politischen Gründen", habe ich dann entgegnet, obwohl es eigentlich um etwas anderes ging. Und so meine ich auch den Titel "Schlampe" liebevoll, aber nur, wenn ich ihn mir selbst zugestehe. Oma und Mutter verwenden ihn gar weniger liebevoll, wenn sie damit auch weniger auf meine Sexualität oder mein äußeres Erscheinungsbild hinweisen, denn auf den Zustand meines Zimmers. Aus all diesen Gründen, und noch viel mehr fand ich mich heute auf dem Slutwalk 2012 ein, nachdem ich den ersten Berliner Slutwalk im Jahr 2011 verpasst habe, weil ich mich nicht in Deutschland aufhielt. Der Tag des Slutwalks begann sehr nervig, da ich ja schon wieder erst seit kurzem im Lande bin, noch einiges zu regeln habe, und daher das Transpi mit dreien der besten Bikini-Kill-Zeilen, vielleicht der ganzen Musikgeschichte überhaupt: "Just 'cause my world, sweet sister, is so fucking Goddamn full of rape--Does that mean My body must always be a source of pain?" in unangebrachter Eile dahinschmierte, wobei mich die zerbrochene Acrylfarbendose mit einem Schnitt daran erinnerte, dass ich sie viel zu lange unbeachtet gelassen hatte. Eindruck machte es anscheinend trotzdem- zumindest bei Photographen der dpa: http://www.bz-berlin.de/multimedia/archive/00383/slutwalk-berlin8_383480a.jpg Aus der Eile resultierte jedoch auch ein erstes positives Erlebnis hinsichtlich Solidarität auf dem slutwalk: Ein paar MitdemonstrantInnen boten mir kurzerhand ungefragt ihren Edding an, nachdem sie nur die Rückseite meines Schildes sahen, auf der bereits die Vorzeichnung zur nichterledigten Songfortsetzung: "NO NO NO! I believe in the radical possibilities of pleasure, Baby!" geschrieben stand. Auf diese kurze Welle der Liebe und Anerkennung, als ich ihnen die hoffnungsgrüne andere Seite zeigte, folgte die Ernüchterung: Der Platz vor dem Brandenburger Tor war viel mehr mit TouristInnen und FotografInnen gefüllt, als mit SlutwalkerInnen. Erstere machten sich aber umso ungenierter über die Protestierenden her, schossen Photos, bedrängten uns mit ihren Kameras, als besagtes Foto (mit unserer Erlaubnis!) entstand, schrie ein Mann: "Los, und jetzt tanzt!" Irritierend, weil ich mir für diesen Tag ganz egozentrisch sehr viel Kraft sammeln wollte, stellte er doch neben allem universalen Engagement auch eine persönliche Verarbeitung dar, und mich daher nicht als awareness-Person oder Ordnerin gemeldet hatte, blieb mir nun nichts anderes übrig, als selbst aufdringliche FotografInnen darauf hinzuweisen, doch bitte wenigstens vor und während der Demo zu fragen, ob die Demonstrierende bereit war, fotografiert zu werden. Offensichtlicher Zoom auf die Brüste, Verfolgung- nach dem Motto: Alles muss, nichts kann wurde die Dokumentation in einem zynischen Sinne ernst genommen. Einer der Sätze, die mir bitter in Erinnerung bleiben werden, war der einer condemonstrierenden Freundin: "Ich trage heute das erste Mal seit sechs Jahren Ausschnitt, und ich weiß genau, warum." Und auch ihr Ringen mit dem mehr als verständlichen Bedürfnis ihre Jacke anzuziehen, um sich vor Blicken zu schützen, und der Überzeugung, dass es richtig ist, so zu bleiben, wie sie war. Und sie blieb. Und ich blieb pink, mit dem Räuberhöhle-Supergirl auf der Brust und der Scham auf Grund meines Zögerns, die VeranstalterInnen zu unterstützen und dem Vorhaben, dies nächstes Jahr auch offiziell zu tun. Es fehlte wahrhaft an Personal, und die Stunde, bevor der Lauf startete, wird mir als eine Stunde des Zorns und der Schutzlosigkeit im Gedächtnis bleiben. Während des Laufs selber wiesen die RednerInnen darauf hin, dass auch das Belästigen durch ungewolltes Fotografieren eine Form der Machtausübung darstellte, gegen die sich der Walk richtete. Eine gute Idee war der safe-space hinter dem zweiten Wagen, bei dem mehrfach darauf hingewiesen wurde, dass hier fotografieren verboten war. Von einem Beobachter worde ich allerdings darauf hingewiesen, dass der Begriff rape-culture verstörend wirken konnte, für denjenigen, der ihn nicht verstand- so wie er. Die Diskussion um eine integrierende und überzeugende Repräsentation der Ziele des Slutwalk- Bekämpfung der Verharmlosung von sexueller Gewalt, von victim-Blaming und einer Gesellschaft, die sexuelle Belästigung und Gewalt institutionell und sozial fördert, und der Einforderung von Selbstbestimmtheit von Körper und Sexualität- bleibt also noch weiterzuführen. Auch die Redebeiträge ließen noch einiges an Diversität und Inhalt- zum Beispiel Intersektionalität, gender-issues, die Diskussion um den Namen- zu wünschen übrig. Dies ist aber nicht nur Kritik, sondern auch eine Aufforderung an mich selbst und andere, denen es in ihrem Empfinden ähnlich ging, sich nächstes Jahr noch aktiver, als dies ohnehin schon mit der selbstbewussten Teilnahme am Walk getan wird, an der Demonstration zu beteiligen. Ich kann meine-in Bedingtheit beschämte- Erfahrung des diesjährigen Slutwalks nur als Ermutigung beschreiben, ihn als Teil der Biographie, zur Forderung der eigenen und fremder Rechte, zum Schutz und zum ins Bewusstsein rücken mitzuerleben. Gefreut haben mich neben der eigenen Selbstbewusstseinstärkung und der Verfestigung von Konfliktbewältigungststrategien auch die verschiedenen TeilnehmerInnen des slutwalk. Mehrere Gender und Altersgruppen waren vertreten, sowie die unterschiedlichsten Kleidungsstile, weitaus bunter und individueller als sich es die brüsteheischende Beobachterposition wohl gewünscht hätte. Zum Lieblingstranspi kürte ich: "Mein schöner Arsch ist auch zum Furzen da" und zum Lieblingst-shirt-neben meinem eigenen, danke Phillipi und Lena an dieser Stelle- die KatzundGoldt-Rumpfkluft mit dem Slogan: "Stehen Sie auf und berichten Sie mir laut und deutlich von ihren sexuellen Erlebnissen!" Lieblingsmusik: Das Trommelteam, dass in ihrer Abschlussrede auch das Engagement gegen jegliche Diskriminierung betonte. Und sonst war es musikalisch auch spitze. Weiteres künstlerisches Engagement-auch von mir!-wäre wünschenswert, Gegenphotographie (das nächste Mal Kamera mitnehmen!) als alternative Form der Berichterstattung zum Beispiel. Performances, um die Zeit vor der Demo nicht mit angegafft werden und sich ärgern zu verbringen, und die freundschaftliche Stimmung der Demonstrierenden nicht schon im Vorhinein zu trüben. Aber auch ganz pragmatisch könnte man- ich- diese fördern, zum Beispiel, in dem man gemeinsame Bahnfahrten plant, denn es ist durchaus nicht angenehm, als -vermeintlich-einzige slut im öffentlichen Verkehrsmittel von Charlottenburg nach Mitte angegafft zu werden. Beziehungsweise gemeinsam Strategien zu entwickeln, wie man dies allein bewältigt, und sich keine Sorgen machen muss, dass die FreundInnen wohlbehütet zu Hause ankommen. Ebenfalls eine Notiz an mich gewesen ist es, sich die Laufroute im voraus sorgfältig einzuprägen, um späteren Dazustoßenden telefonisch problemlos Koordinaten durchgeben zu können. Es wäre auch ratsam, sich mit eigenem Informationsmaterial zum Verteilen zu versorgen, Transpiworkshops zu organisieren- zum offiziellen konnte ich nicht, und das wird anderen wohl auch so gegangen sein, sich mit genügend Softgetränken und Proviant auszustatten, und zu überlegen, wem man Foto und Interview gestattet, oder auch nicht. Wahrscheinlich ließe sich die Liste endlos fortsetzen, aber ich möchte mich einmal auch loben: Nachdem mir heute eine Freundin steckte, dass es Ikeaintern nicht gestattet ist, die Geschirrtransportkartons des Möbelhauses zweckzuentfremden, freue ich mich, dies gewinnbringend getan zu haben, in dem ich aus einem ebensolchem ein Transpi baute, dass sich als sehr stabil und tragbar erwies. Man kann damit auch ganz im Räuberhöhlestil während der Demo ein Puppentheater veranstalten, es beim Tanzen beweglich halten- und ganz im Ikeasinn auch wiederverwenden: Als verdammt cooler Geschirrtransportkarton! Ein reiner Bikini-Killer eben. Der Slutwalk Berlin 2012 hat vor allem bewiesen, dass er nötig ist- Reaktionen von BeobachterInnen und JournalistInnen haben das schon heute gezeigt. Ich bin gespannt und bereits grundverärgert bei der Vorstellung, was alles bis zum nächsten passieren wird.

22. Juli 2012

A serious Girl. Or:Let's watch our dreams die.

Letzte Woche habe ich mich der schönsten Nebensache der Welt gewidmet (dass das mit dem Sex Quatsch ist, habe ich an anderer Stelle mehrfach erwähnt): Sich frisieren und frisieren lassen. Erst wurden mir mit bilingualen Instruktionen die Haare gekürzt. Schon zum zweiten Mal wesentlich erfolgreicher und preisgünstiger als bei "Grünton", den ich ahnungslos und mit der traurigen Glanz und Gloria meiner früheren Berliner Zugezogenen-Arroganz bis vor kurzem für in beiden Kategorien unübertreffbar hielt. Aber sowohl der Mini-Oma-Frisör in der Innenstadt, als auch die polnische Discount-Kette "Trendy" wissen, mit kurzem Haar umzugehen. Schade eigentlich, denn eines meiner liebsten Erste-Welt-Abenteuer ist es, nicht zu wissen, wie scheußlich oder wundervoll ich nach einem Frisörbesuch aussehe. Erster verwandelte wenigstens mein Haupthaar mit Hilfe von dafür geeignetem Lack, Spray und Wachs in diesen Neunziger-Jahre Alptraum, vorne gebügelt, hinten hochgerupft, ein Pfau in Aschgrau sozusagen. Bei Trendy bekam ich für 5 Zloty mehr eine ungefragte Glätteisenbehandlung, was für mich, die ich seit Kindheit unter meinen unregelmäßigen Locken leidend, die so manche unliebsame Bekannte und/oder Prenzlbergfrisörin als "bieder" bezeichnete, immer wieder ein ungesundes, guilty pleasure darstellt. Nach der Fremdhaarbefassung rannte ich zu Rossman und kaufte Syoss-Chemie, die ich anschließend absichtlich eine Viertelstunde zu lang einwirken ließ. Das Ergebnis ist: barszcz-farben.
Es gibt nicht vieles, was Barszcz in seiner Intensität, geschmacklich und farblich ähnelt. Umso stolzer bin ich, ein Abbild meiner Lieblingssuppe zu sein. Ich werde mich in jedem Fall mit einem Vorrat dieses Haarzerstörprodukts und der ihm gleichenden Tütensuppe gegen den deutschen Winter (jaha, den draußen und den in der Seele) wappnen. Ich bin lange genug innen unvernünftig und außen vernünftig aschgrau gewesen. So frisiert tummle ich mich in Gdanks und Nowa Hutta. Kombiniert mit schwarzem Second-Hand-Samttutu, schwarzer Bluse über alter grauer Strumpfhose und ebenfalls antrazithnen Adidas haftet etwas verrucht gruftiges an mir- genauso gut wie das geneigte Klassenkameradinnen schon mit 15 konnten.
Ich aber habe jeher außerhalb Berlins den komischen Drang, mich von meiner Umgebung abzuheben. So muss man mich noch besuchen, möchte man mich in Joga-Pants bei Kunstworkshops assisitieren, in bodenlangem Kleid Museumsführungen halten und in roten Schlaghosen durch geschichtsträchtige Floure wandeln sehen. Zurück in Berlin sehe ich schneller wieder aus wie eine lesbische Version Rory Gilmores, eh wir Termine für die Großstadtstelldicheins finden, mit jedem einzelnem von uns. Wobei ich schon versuchen werde, etwas Juliette Binoche im Kostüm Karen Os mitzuschleppen.
Als Kind konnte ich mir immer nicht vorstellen, wie ich aussehe, denke, fühle, lebe als Erwachsene. Dann verging die 20 und die ein oder andere Zahl dahinter, und ich wusste warum: Weil ich weder erwachsen aussehe, noch denke, noch fühle, noch lebe. Und nach drei Monaten Krakau dann plötzlich gestern so: That's it. So wie jetzt bin ich sicher nicht mein ganzes Leben, aber ich kann doch sehen, dass so wie ich denke (sozialwissenschaftlich viel über Atrocities und Identitätsbildung, bildungsmäßig viel über Bildnisse dieser), fühle (zu tief und zu viel und zu schnell, aber in gesündere Bahnen gelenkt), lebe (nicht verplant, aber mit Plänen), das kann man ein bisschen die erwachsene Version von mir nennen. Und das geschah tatsächlich durch die äußere Veränderung. Von anfangs sehr seriös im Pleasantville-Style zu sehr casual hippiesk, zu der Mod-Attitüde, in der ich mich eben sehr serious finde. Und weil ich das nicht ironiefrei erzählen kann alles, und ich mir des "Machen sie doch mal was ganz verrücktes, färben sie sich die Haare!"-Faktors nicht erwehren kann, und es durchaus bedenklich finde, dass ich wie vorgefasst über Yoga und Beauty-Programm zum Seelenfrieden kam, habe ich eine Playliste für alle Aspekte dieses "Erwachsens" erstellt.

Let's watch our dreams die.

Belle and Sebastian: Step into my office, Baby

Maximo Park: Apply some pressure

The Thrills: Fancy Restaurant

Mikrofisch: Delusions of Decay

Belle and Sebastian: Get me away from here I am dying

Nina Simone: Feeling good

Ben Caplan: Seed of Love

Phantom/Ghost: Thrown out of Drama School

Marina and the Diamonds: I'm not a robot

The Thrills: Faded Beauty Queens

Regina Spektor: Ghost of a corporate future

Belle and Sebastian: Expectations

Tocotronic: Das Unglück muss zurückgeschlagen werden

Socalled: Work on what you got

The Divine Comedy: Generation Sex

Belle and Sebastian: Dear Catastrophe Waitress

Amanda Palmer: Ampersand

Und nie die Worte Yodas vergessen:
If you end your training now - if you choose the quick and easy path as Vader did - you will become an agent of evil.
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17. Juni 2012

They sentenced me to twenty years of boredom.

„Du kommst doch auch aus der Künstlerecke? Siehst jedenfalls so aus.“ Ich habe gelernt, wie eine Dame milde zu lächeln, und mir meinen Samtrock glattzustreichen.

Er trägt eine Baskenmütze, sandfarben, wie seine gelockten Haare, die sich beinahe um seine selbstgedrehte wickeln, die er sich mit einem neckischen Augenaufschlag anzündet. Ich tue ihm nicht den Gefallen, zu sagen: „Nö, Du wohl aber.“ Sondern versuche ein anderes Thema anzuschlagen. Wir haben ausführlich abgeglichen, dass wir die selben Länder bereisten, er jedes zweite gesellschaftliche Phänomen als „ethnologisch interessant“ empfindet, und für mich ein „soziologisch auch“ hinzufügt. Musikinstrumente. Museen. Kommunismus. Neben uns steht eine zierliche mit kurzem Pony und langem Stoffrock, „die lebt einfach nur“ und findet's „einfach nur schön hier“ und sie hat mich, die „Renate aus dem Museum,“ kennen gelernt, als sie meine Tasche abfotografiert hat. Ein Jutebeutel mit einem Mädchen, das Herzen kotzt. Sie möchte gern meinen Platz einnehmen, jetzt, sie gibt mir das zu verstehen, mit jedem Klappern ihrer Espandrillas. Das kann ich aus dem Augenwinkel sehen, während sie gleichzeitig ihrer Freundin, dem „Mäuschen“ laut genug flüstert, es langweile sie hier, niemand, den sie jetzt ansprechen möchte und zuhören macht sie müde.

Ich will doch längst selbst gehen, ich trotze ihr eigentlich nur, ihrer sich selbst reizend findenden Attitüde, ich weiß gar nicht warum. Vielleicht finde ich mich sogar selbst reizend dabei. Gieße mir schließlich seufzend Wodka in die Cherry Coke, komme eine halbe Stunde später zurück und höre, wie Leinenrock und Baskenmütze sich wechselseitig bestätigen, es füge sich schon, man müsse nur offen bleiben, nicht zu Hause herum sitzen, dann ergebe sich schon alles.

Wiederum ein Klogang später, ein paar Floskeln über Helsinki ausgetauscht, im einzigen englischsprachigen Gespräch auf der Party, mit einem Finnen und einem Isländer, erklärt mir eine aus der Kunstecke ihre Theorie des kulturellen Austauschs: Gleichgesinnte Europäer tauschen sich in Polen anders aus als in Deutschland. Auch sie hat ein Jahr in Berlin gewohnt.

Es soll endlich getanzt werden, denn die Gespräche machen die Menschen müde, das Nicken strengt an, das vom Gegenüber begeistert die Augen aufreißen, das Fragen nach Zigaretten und Feuerzeugen, die dritte Bestätigung von der vierten verschiedenen Person, dass man nicht wisse, wo es hingehe, aber man sei sicher, irgendwann sei man zur richtigen Zeit am richtigen Ort.

Die Luft ist sommerlich kalt, und so ein Balkon ist rar in Krakau, man kann über den Hinterhof über die Dächer blicken, den Rynek, und irgendwo dahinter muss Kazimierz liegen. Dorthin war mein Amerikaner, meine Begleitung, die keine blieb, weil ich mich verspätete, zurück geeilt, es ist ein gutes Stückchen Weg bis dahin, vom Außenring des grünen Gürtels, der die Innenstadt in spezifischer Weise umspannt, und tagsüber den täglichen Gängen etwas märchenhaftes verleiht, nachts gemieden werden muss. Stadtstreicher, verrückte Poeten, die Gefahr, auf Taubenfutter zu treten. So genau weiß ich das nicht. Ich war erst einmal hier, nachts. Die Karmelicka kann ich noch nicht sehen, ich wähne sie hinterm modernen Theater. Die Karmelicka ist nicht lyrisch, aber sicher, die Karmelicka ist die halb-ruhige Vene in den Adern des gerade von mir bewohnten Körpers, die mich heimführt, später.

Renate, einen Uwe soll es hier auch geben, der eine Frau geheiratet hat, deren Opa in Auschwitz war, weshalb er sich jeden Freitag zum Beit Krakau einfindet. „Have you met Uwe yet?“, fragen sie mich, sie sprechen Englisch, in der Hoffnung, sie wirken dann wie echte ErasmusstudentInnen, und jemand verirrtes klinkt sich dann vielleicht ins Gespräch. Es verirren sich viele, sie wollen eigentlich upstairs, und dahin bewegen sich alle, gemächlich, in dieser Wohnung kotzt es sich nicht gut. Wieder ein paar selbst gedrehte, ein Österreicher mit Idealismus, sein Studiengang wird abgeschafft, er wähnt sich interessante Dinge sagen, und zum Teil hat er auch Recht, er kann nicht viel dafür, dass ich müde bin und am Stück in Floskeln spreche. Die Gastgeberin hat inzwischen einen neuen Haarschnitt, ich habe mir meine Jacke über die Schultern gezogen. Die langberockte, die einfach nur lebt, die alles hier schön findet, die nicht weiß, was sie in einem Jahr macht, aber alles so schön, sitzt allein auf dem schmalen Bett in diesem großen Zimmer. Zu dritt wohnen sie hier, es befinden sich Bilder von nackten Frauen an den Wänden, Pin-up Style fünfziger, in einem Hostel haben sich die Fremden kennen gelernt, denen es nicht schwer fiel, Freunde zu werden. Sie sprechen sogar die selbe Sprache.

In Lingua-Franca Englisch träume ich schon lange nicht mehr, die Nachtmare sind einer Sprachlosigkeit gewichen. Ich trotte an den letzten Heimgängern mit rot-weißen Schals vorbei, Polen hat verloren heute, wir haben verloren heute, wie auch immer man es mir sagte, man sagte es mir. Es ist ein erstaunlich ruhiger Abend für ein Wochenende, noch niemals ist mir aufgefallen, dass es so wenig Straßenlaternen hier gibt. Morgen werden die Bäckereien wieder geöffnet sein, 7 Zloty werden mir teuer vorkommen, für zwei Gebäckstücke, doch es ist Sonntag und ich werde sie singen hören.

5. April 2012

Das Internet ist mein Pony, der Kosmos mein richtiges Pferd!

Ich führe eine doppelte Existenz im Internet, sie heißt mal bookishasearlgrey, mal sommer hier, mal nachtmar, schreibt für mich Gedichte, Prosa, Essays und manchmal sogar Tagebuch und entwickelt sich zu einer selbstlaufenden, zweiten Realität, der meine FreundInnen manchmal mehr glauben schenken als der Regine Glaß aus Fleisch und Blut. Ich schreibe gefühlvollere E-Mails, als mein Herz mir zu fühlen erlaubt und halte manche Pointen im Leben zurück, um sie auf Facebookpinnwände der Betreffenden zu verewigen. Ich euphoriere im Klappentext zu meiner Internetseite über die Autonomie digitaler Literatur und bin Mitglied in einem literarischen Teamblog. Meinen Backkatalog an Texten aus den letzten drei Jahren kann man samt und sonders bei keinVerlag durchblättern, auf myspace liegen auch noch ein paar Jugendsünden, und meine zeitgenössische deutsche Lieblingskünstlerin heißt Lena Knaudt, deren Literatur, Bilder und Filme ich zu Hause nur über ihre Website, ihren youtubechannel und keinVerlag rezepiere. Ich spreche eigene und fremde Texte als Hörstücke ein und stelle sie auf meinen oder den Seiten von Freunden online.

Und trotz all dem würde ich mich niemals als einen digitale bohéme bezeichnen.
Die ehrliche Wahrheit ist: Ich veröffentliche doch nur im Internet, weil ich mich noch nicht reif genug für einen Verlag fühle und trotzdem an Geltungssucht leide, und möchte, dass jemand meinen Rotz liest. In E-Mails kann ich mich von der besten Seite zeigen, ohne an meine Körperhaltung zu denken. Manche Witze und Bemerkungen erscheinen mir zu geistreich, als dass ich sie einfach dem Pöbel anvertraue, das heißt den FreundInnen und Bekannten, ich möchte, dass sie noch für mehr Menschen sichtbar sind, damit sie überhaupt wirklich gewertschätzt werden. Würde es einen Markt für Lyrikanthologien geben, der nicht auf Kosten der AutorInnen geht, würde ich all meine Freizeit in das Herumschicken von Manuskripten investieren. Ich bin zu faul, meine Texte ordentlich zu archivieren und überhaupt Sicherungen meiner Festplatte vorzunehmen. Meist schreibe ich die Texte spontan einfach ins Artikelformular des jeweiligen Blogs. Ich kriegs nicht hin, mein myspaceprofil zu löschen (obwohl da auch steht: more to love!, hihi). Lena Knaudt versüßt mir kostenlos jede Mußestunde, aber ich wünsche ihr nichts sehnlicher, als einen Verlag, einen Job in der Filmbranche oder eine Ausstellung. Ich fände es furchtbar, wenn die Welt nicht von ihr erfährt. Seit ich aus der Literaturbühne geschmissen wurde und die Berliner Lesebühnen mich nicht überzeugen, vermisse ich jede Gelegenheit, meine eigene Stimme zu hören.
Empfehlungen, Favorisierungen, Daumen nach oben und liebe Kommentare retten mir manchen Tag, aber wisst ihr, was mich wirklich glücklich gemacht hat? Mein erstes Gedicht gedruckt zu sehen und für meine erste Rezension im Missy Mag bezahlt worden zu sein! Meine erste, eigene Lesung! Mich zum Literatursalon mit meinen FreundInnen zu treffen und uns Sachen vorzulesen und zu kritisieren! Wie altmodisch! Und wie berechnend!

Nein, ich bin kein Digitale bohéme aus Leidenschaft, sorry, das war gelogen! Ich bin jemand, die wirklich gerne Schriftstellerin ist, ob haupt- oder nebenberuflich, und die nicht vom Land in die Stadt gezogen ist, um sich hier nur virtuell zu vernetzen! Nur ist das kulturelle Leben in Berlin nun manchmal angesichts der Ausmaße des gigantischen Potentials unterirdisch und die zugehörigen Menschen nerven und klüngeln. Da zieht man sich ins Netz zurück und macht vielleicht alles nur noch schlimmer. Womit ich nicht sagen möchte, dass ich dies nicht ändern möchte. Nur: Ich sehe es eben auch als Möglichkeit, ich könnte zu schlecht, zu faul, zu verzettelt, zu feige sein, für Print und Bühne sein, anstatt die digitale Welt als dankbare Spielfläche zu vergöttern. Und es einen Zustand zu finden, dass viele begabte Menschen für lau arbeiten, weil sie nicht genügend Selbstvertrauen zur ständigen Selbstvermarktung haben. Ich würde mich jedem Lektorat anvertrauen, das mir hilft, meinen Roman zu veröffentlichen. Und kennte ich die richtigen Leute und Orte, ich gründete sofort ein Kaberett, eine Lesebühne, und erneut meine eigene Zeitung. Woher kommt diese plötzliche Real-Life-Versessenheit? Vielleicht taugt mal wieder die all-round-Antwort: I'm getting too old for this shit.

11. Januar 2012

Das Gegenteil von Dankbarkeit.

Ich habe eine neue Lebensphilosophie gefunden. Sie steht eurem bescheuerten, sinnlosen, verdrogten Hedonismus genauso hemmungslos und ekstatisch entgegen! Was sagt ihr jetzt?

Ich werfe ein Herz, ein menschliches, den ganzen Tag über an eine graue Betonwand, und alles, was ihr seht, ist meine Silhouette von hinten. Ich gucke einfach zu, wie es hart aufprallt und rote Streifen auf der Wand zieht. Die Wand eines Betonbalkons. Ich könnt den ganzen Tag singen: Betonbalkon. Und weinen.

Ich bin eine junge Frau in einem Anzug aus schwarzer Baumwolle. Ich habe kurze Haare, und der Anzug ist maßgeschneidert, und ich habe nun einmal Hüften, verdammt!
Ist ja auch egal, alles, was ihr von mir seht, ist sowieso von hinten.

Auch ich hab n Weilchen mit der goldenen Kugel gespielt, hab nach ihr getaucht, und dann notfalls doch den Frosch gebeten, mir zu helfen. Hätt ja ein Prinz werden können, dacht ich mir, als ich ihn an die Wand klatschte. und war dann doch ganz froh, als es nur ein menschliches Herz wurde. Wird Frosch zu Herz, wo jemand Grünes will oder so.

Jetzt ziehts Striche und stinkt nicht.

Schön langsam, schön warm, schön purpur. Und ich habe mir dazu ein grimmiges Grinsen ausgedacht und denke: Heute wein ich, morgen denk ich, übermorgen schreib ich ihn doch. Und das heute, wo mittlerweile für einen gewissen Kreis die Bezeichnung Berlinroman gottseidank eine Beleidigung darstellt.

Uhrwerk purpur. Orang ja trotzdem irgendwie. Und es läuft, es läuft, es läuft beständig, obwohl es ausblutet. Ich weiß, ist doch schließlich meins.

Dabei seid ihr mir eigentlich viel zu langweilig, alle miteinander, um über euch zu schreiben.
Ich habe mir die Traurigkeit verordnet, wie ihr euch den hemmungslosen Spaß. Wir tanzen auf dem selben Parkett, People: Es ist abschüssig, ich spürs auch.

Und da ich ja nur mit dem Rücken zu Welt stehe, mit dem Kopf zur Betonwand, kann ich euch zum Glück nicht mehr sehen. Wenn ich mich manchmal, einmal im Monat, wenn ich meine Verabredung mit der Welt habe, über die Schulter leicht umdrehe, denn das reicht mir schon an Gnädigkeit ihr gegenüber, find ichs einfach nicht so lustig wie ihr, sorry. Naja, wenn man nicht über rape-jokes lachen kann.

So much for the city, tell me that you dance till the end...

Ja, wie gerne hab ich das damals auch geglaubt, in die andere Richtung rennend als die Polizei, mit krachender Lederjacke, und irgendwie echt gedacht, das ist meine Stadt, die ich da verteidige. Und nicht eure. Ihr grenzt euch ab? Und wollt mich trotzdem, ihr wollt mich doch auch, da kann ich so viel Yuppiesport betreiben, dass ich ganz modeldünn werde, da kann ich noch so mädchenhaft schüchtern sein, da kann ich sonstwie daherkonservativen, ich schaffe es einfach nicht, dass ihr mich unsympathisch findet.

Sorry, aber mein Herz schlägt gegen eine Betonwand. Euer Hedonismus ist meine Traurigkeit. Euer Danke ist mein Selbsthass. Ich habs bequem, doch glücklich bin ich nicht.
Den Jutebeutel über der Schulter und den Kopf gegen die Wand. Nur so kann ich morgens noch aufstehen,um grimmig grinsen zu können.

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