10. Februar 2011

Die Sache mit der Struktur.

Mit viel Glück habe ich heute mein Soziologiestudium abgeschlossen. Aber nur mit viel Glück. Diese Tatsache berechtigt mich aber bereits dazu, den Moment dieses Semesters zu feiern:
Ein Statement der Sozialstrukturanalyse, bei dem ich mit todernster Soziologinnenstimme Christiane Rösingers Worte verlas und dafür eine sehr gute Note erhielt.
Hier also das drum rum, viel Spaß!


Statement „Webers soziale Klassen“

Britta: Wer wird Millionär?

Wer geht putzen und wer wird Millionär?
50 Euro-Frage, denn die Antwort ist nicht schwer
Wer lebt prima und wer eher prekär?
Wer geht putzen und wer wird Millionär?
Wer schon hat, dem wird gegeben
Und für uns bleibt nur das schöne Leben
Ja so läuft's, und so wird's weiter laufen
Denn der Teufel scheißt auf den größten Haufen
[...]
Ich zähle täglich meine Sorgen
Dabei denk ich noch nicht einmal an morgen
Ich hab ja keine Angst, nur manchmal frag' ich mich:
Ist das noch Bohème oder schon die Unterschicht?
Und alle unsere Geistesgaben kommen gar nicht mehr zum Tragen
Weil wir schon seit jungen Tagen so gar keinen Ehrgeiz haben
Unsere Haut zu Markt zu tragen, da kommen die Geistesgaben
Leider gar nicht mehr zum Tragen



1 Individuum und Gruppenzugehörigkeit heute am Beispiel eines Songtextes

Zum Einstieg trug ich diesen Auszug aus einem Songtext vor, da meine Lesart dieses Textes meine im folgenden erläuterte, positive Haltung gegenüber Webers sozialen Klassen, um die es in diesem Statement zur Sitzung vom 18.11.10 gehen soll, unterstützt.
Der Konflikt, der in dieser postmodernen Lyrik aufgezeigt wird, ist, betrachtet man ihn sachlich, die Frage nach der Zugehörigkeit und der Zufriedenheit eines individuellen „Ichs“ zu einer bestimmten „Schicht“ oder in einem Lebensgefühl. Um mich dem Text anzunähern, habe ich literaturwissenschaftlich hermeneutische Methoden angewandt, und versuchte herauszufinden, für welche Personen das „Ich“ und das „Wir“ stehen und welche sozialen Vörgänge in dem Song beschrieben werden.

Ein Lyrisches „Ich“ stellt Fragen, wer putzen gehe und wer Millionär wird. Die Antwort darauf sei leicht zu geben, denn wer bereits etwas „hätte“ ( was derjenige hätte, wird nicht genau erläutert), dem werde gegeben. Dies sei schon immer so gewesen und würde auch weiter so werden. Für das lyrische Ich, das sich zu einem „uns“ vereinigt, bliebe „nur das schöne Leben“. Besorgt, aber angstfrei fragt es sich, ob dieser Zustand noch „Bohéme“ sei, „oder schon die Unterschicht.“
Ich finde hier also ein Lyrisches Ich, welches eine fatalistische Weltanschauung vertritt, in der soziale Vorgänge nach einem fest geschriebenen, repetitiven Prinzip verlaufen und Besitzverteilungen starr sind. Das Individuum ergibt sich diesen Prinzipien stellt aber sein Unbehagen im Spannungsfeld der Beschreibung seines Lebensgefühls als „Bohéme“ und seiner auf Grund von Besitzlosigkeit möglichen Zugehörigkeit zur Schicht der „Unterschicht“ dar.
In diesem Text fand ich vieles von marxschen und weberschen Modellen wieder, jedoch auch Kritik und Fragen. Hat eine derartige fatalistische Darstellung mit Marx Theorie vom Klassenkampf zu tun?

Nicht ganz. Auch Marx Theorie ist vor allem ein Modell und im Kontext einer Prognose über die wirtschaftlich-gesellschaftliche Entwicklung seiner Epoche zu sehen. Der Text aber verwendet Thesen der Verteilung in Besitz- und Nicht-Besitzklasse und verwendet somit Marx Modell, das also zumindest gefühlt noch existiert. Viel ergiebiger für die Analyse erscheint mir aber Webers Modell der sozialen Klassen. Dieses werde ich im Folgenden noch erläutern.

2 Bedeutung von Webers Modell und Gültigkeit

Woher kommt die Diskrepanz, die das Lyrische Ich in „Ist das noch Bohéme oder schon die Unterschicht?“ fragen lässt und somit dem Gefühl des unbürgerlichen Bohéme, des freigeistigen Künstlers somit in der Prestigehierarchie einen höheren Stellenwert einräumt als der „Unterschicht“, die doch nur die Bezeichnung einer Erwerbsklasse darstellt?
Weber hat die Komplexität der Diskrepanz vom Bewusstsein einer Klasse oder eines Standes sehr schön in ein Modell gebracht, in dem er Marx Klassen der Besitzenden und Nicht-Besitzenden in Erwerbsklassen, Besitzklassen und soziale Klassen unterteilte und somit das Entstehen von sozialer Ungleichheit nicht nur in Hierarchien des Kapitals, sondern auch in Zusammenhang mit dem öffentlichem Ansehen, dem Bildungstand, also ebenso kulturellen und traditionellen Faktoren. brachte. Weber hat in seinem Modell dargestellt, dass ein Wechsel innerhalb der sozialen Klassen durchaus möglich ist, sowie ebenso Ansehen und Macht getrennt vom Besitz betrachtet, in dem er den Begriff der Stände definierte und verwendete.

Am konkreten Beispiel des Textes lässt sich somit also die Einschätzung des lyrischen Ichs der Höherstellung zum Stand der Bohéme mit gleichzeitiger Einordnung in die Unterschicht, also wahrscheinlich äquivalent der Zugehörigkeit zu einer niedrigen Erwerbsklasse, erklären. Geigers Schichtmodell hingegen vereinfacht meiner Meinung nach diese komplexen Verknüpfungen, in dem es den Schichten Mentalitäten zuschreibt. In der Seminardiskussion am 18.11. versuchten die Teilnehmer allerdings Schichten erneut Mentalitäten zuzuschreiben, in dem zum Beispiel die Rede vom unterschiedlichen Studierverhalten von „Akademiker-“ und „Arbeiterkindern“ war. Selbstverständnis und Individualität spielten hier keine besonders große Rolle.

Weber lässt an dieser Stelle im Gegensatz zu Geiger mehr Spielraum in der Ausprägung der Klassen und Stände; freilich wird aber, da es sich um ein Modell handelt auch hier strukturell vereinfacht. Zur möglichen Ausweitung werde ich aber später noch kommen.

Betrachte ich den anschuldigenden Gestus des Textes, der durchaus marxistisch geprägt ist, so komme ich zu der Erkenntnis, dass Weber Marx Modell entschieden erweitert hat. In dem er den Begriff der Klasse um den Begriff des Standes erweiterte, Klassen komplexer unterteilte und Stand, Klasse, Parteien und Macht entkoppelt voneinander betrachtete, erlaubte er einen nüchterneren Blick auf soziale Ungleichheit. Dieser ist meiner Meinung nach ein anzustrebendes Ideal, um real existierende, gesellschaftliche Problem mit Hilfe soziologischer Methoden zu untersuchen, da mit einer allzu starken Politisierung der Weg in einen irrationalen Fatalismus schnell geschieht.
In dem er ein Klassenhandeln anzweifelt, stattdessen zwischen ungerichteten Massenhandlungen auf Grund ähnlicher Klassenlagen und gesellschaftlichem Handeln mit gerichteten Interessen unterscheidet, nimmt er der Klassentheorie ihre fatalistische Aussage. Weber ordnete somit auch weder der Ökonomie noch der Politik automatisch Macht zu. Er übte Kritik an einer zu einseitigen Zuschreibung von der Macht der Ökonomie.
An dieser Stelle muss ich betonen, dass dieses Modell wie jedes Modell immer im realen gesellschaftspolitischen Kontext gesehen werden muss und somit Macht in Systemen durchaus einseitig bestimmt werden kann.

3 Zur Kritik an Webers fehlendem Erklärungsbeitrag

Wieso bleibt beim Individuum aber oft ein Gefühl der ökonomisch erklärbaren Ungerechtigkeit? Woher entsteht „Klassenbewusstsein?“ Kann man zu einer bestimmten sozialen Klasse gehören, wenn Erwerb und Besitz eigentlich nicht dazu legitimieren? Wo sind die Mobilitätsbarrieren, die das Lyrische Ich und das Individuum allgemein am Wechseln der sozialen Klasse hindern?
Auf diese Fragen gibt Webers Ungleichheitsmodell der sozialen Klassen keine Erklärung.
Weber leistete einen komplexen Einblick in die Verknüpfung von ökonomischen, kulturellen und sozialen Faktoren auf das Bewusstsein und die Zugehörigkeit zu einer Klasse, einem Stand oder einer Partei. Er liefert hiermit einen interessanten Rahmen und ein Strukturmodell. Während Geiger versuchte, Schichten Mentalitäten zuzuschreiben, blieb Weber abstrakt und lässt das Modell zeitlos und vielfältig anwendbar bleiben.
Dieser Punkt kann ihm zurecht auch vorgeworfen werden; ist er doch wenig eindeutig und lässt sich nicht recht für realpolitische Lösungen und andere konkrete Schlüsse nutzen. So kann damit, um beim eingangs erwähnten Songtext zu bleiben, untersucht werden, dass es individuell eine Verknüpfung von einer niedrigen Erwerbsklasse mit einer künstlerisch-prestigeträchtigen sozialen Klasse oder gar einem Stand geben kann, die in Geigers Schichtmodell wahrscheinlich eine eigene Schicht als unterbezahltes Künstlerprekariat mit bestimmten Verhaltensweisen und einer Lebensführung bilden würde. Inwieweit dies aber ein politisch-strukturelle Problem sein könnte, wo die Ursachen liegen und wie die Barrieren des ökonomischen Aufstiegs bekämpft werden könnten,darauf lässt sich keine Antwort finden.

Vielleicht ist dies aber auch gut so. Ein Modell zur Strukturanalyse wird immer ein offenes Modell sein, denn in dem ich ein Modell zur Analyse benutze, vereinfache und verallgemeinere ich schon.

4Individuelle Ursachenforschung

Um tiefer in die Ursachenforschung zu gehen, können klassische Modelle um qualitative Forschung erweitert werden. Einbeziehung von aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen, zum Beispiel Migration, auf die Forschung wären wünschenswert, ebenso wie ein Begreifen von Webers und Geigers Modellen sowohl als Schritte in der Entwicklung der Sozialstrukturanalyse als auch bleibende Rahmenfaktoren, die es zu erweitern und den aktuellen, gesellschaftlichen Situationen anzupassen gilt.
Ein zeitgemäßes Strukturmodell könnte vom „Wir“ und „Ihr“ zu einem „Ich“ und „Du“ zurückkommen, dass schichtübergreifend Mentalitäten überprüft. Hierbei kann Differenzierung von Besitzklasse, Erwerbsklasse und sozialer Klasse ein Hilfskonstrukt sein, genau wie Geigers Idee vom dominierenden Schichtungsprinzip

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Follower