Es flirrt mir vor den Augen. Ich muss dennoch hinsehen. Wie das Ameisenrennen am kaputten Fernseher einst. Wenn man schon eine Weile keine mainstreamige Indiediskothek mehr aufgesucht hat, kann es echt ein ganz schöner Augenfick werden, all diese Kleinmusterei mal wieder zu erblicken. Hinterm Dj-Pult ist es dreifach kariert. Die Ischen in der Ecke sind immer noch kleingeblümt (0h, ich ja auch, stelle ich an mir herunter sehend fest), Polka-Dots sind ja direkt verschwunden, dafür glitzert es mir noch aus so manch ödem Gesicht lethargisch aufgehübscht entgegen. Wieso hat sich diese Mode eigentlich noch nicht überlebt? Und überhaupt, wo ist der dekadenbeendende Bruch? Ich kann mich noch sehr gut erinnern, wie das mit den Schlaghosen zum Beispiel ganz plötzlich kam, Ende der 90-iger. Verblüfft war man zunächst, hörte der Mutter belächelnd zu, die wie bei jedem Revival ausrief: "Ja, endlich! So sind wir früher auch rumgerannt!", doch passte sich dann erstaunlich rasch an. Es brauchte keine weitere Dekade, sondern schon ca fünf Jahre später wendete sich dann ebenso schnell das Blatt wieder, als sich die Röhre frech ins Blickfeld rückte, die man zuerst als Omakarottenhose belächelte, so sehr war man schon schlagkonventioniert, doch bereits ein halbes Jahr später wisperte mir eine Freundin im Londonurlaub fremdbeschämt zu, ich solle mal den Saum meiner Hose enger nähen. Ich fühlte mich direkt obszön.
Ich wünschte mal, mir passiere dies jetzt ebenso mit Blümchen und Karos und Leggins und Tiermustern und all dem anderen Anfangsnullerkram. Ich will ein schickes Neunziger-Revival mit bauchfrei und Riesenmustern und Grungehaaren und geschminkten Fixernarben statt Glitzer im Gesicht! Oder ganz krassen Fancy-New-Shit, 2010 ist schließlich bald vorbei!
Irgendwie finde ich diese Zukunft ganz schön langweilig. Im Prinzip hätte man mich 2006 einfrieren können, und ich hätte wahrscheinlich keinen Unterschied gemerkt. Zum Glück ist der Sommer vorbei und ich muss wenigstens erst mal keine Ray-Ban Sonnenbrillen mehr sehen. Leider bedeutet dies gleichzeitig, dass die Uni bald beginnt und ich wieder erblicken werde, wie sämtliche Hipsters und Pseudonerds ihre langweiligen Gesichter mit Hornbrillen verinteressanten wollen. Ach, ich muss wohl szeneknirschend den Zeitgeist erkennen, um klar zu sehen: Man verödet mir die Augen, damit sie sich nach innen kehren können, um mich darauf vorzubereiten, dass 2020 anstatt eines Herzens ein Facebookaccount in unserer Brust schlägt. Unsere Statusupdates und Likes werden dann noch mit dem Hirn gesteuert, aber sie werden drinnen behalten, wo sie immer hingehörten. Geschickt wird durch den social networkigen Ersatz, ohne dass wir es spüren, simuliert, dass sie nach außen getragen werden. Also, das ist dann so wie Spieglein, Spieglein an der Wand bei Schneewittchen, die Königin kommt nie aus ihrer neidenden, narzisstischen Höhle raus, muss aber auf Grund der simulierten, öffentlichen Selbstdarstellung auch keine Schergen mehr ausschicken, um zu vernichten. Denn im inneren Facebookaccount ist alles nur zum Gefallen gedacht, da es ja um sich selbst kreisend bleibt. In vielfältigen Selbstfakeaccounts sind es nur noch Profile des eigenen Ichs, die bewerten und kommentieren, und die nach bewerten und kommentieren rufen. Es muss nur das alte Herz dem Auge überfälligerweise klar machen, dass eh alle gleich aussehen, dann kann es sich endlich auf die eigene, innere, vielfältige Schönheit konzentrieren und den Körper routiniert automatisiert nach Sexualpartnern suchen lassen. An der Schönheit des Selbst kann man sich ein Leben lang erfüllend ergötzen, wenn erst mal der störende Druck weg fällt. Es wird ein bequemes Leben werden. Was wird es dann zu Liken geben? Na, Hirngespinste und Selbstbestätigung. Notizen, die man nur selbst lesen kann. Endlich die Rückkehr ins Private wird das werden. In unserem Inneren werden immer andere Lieder tönen und bunte Filme geschoben. Die pure Selbstverwirklichung, die den schönen Nebeneffekt haben wird, dass man auch nicht mehr sehen kann, wie vorm Zauberfenster die Welt vor die Hunde geht. Ich kanns kaum erwarten.
Nice!
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