31. Oktober 2010

Bloody Marian

Es ist die Nacht vor Halloween und es ist Samstagabend und natürlich sah ich in der U-Bahn gerade dutzende von Menschen, mehr oder minder betrunken, mehr oder minder schrecklich verkleidet, on the way to the best parties in town. Natürlich habe ich selbst Kopfschmerzen und bin bereits auf dem Weg nach Hause. Aber ich habe gerade Julie Miess, Bassistin (Lassie Singers, Britta, Jens Friebe), Sängerin (I.M. Monster) und Doktor der Literaturwissenschaft aus ihrer Dissertation zum Thema "Neue Monster. Postmoderne Horrortexte und ihre Autorinnen" lesen hören, und es gab anschließend eine Diskussion, in der die allgegenwärtige Twilightsaga, Metalfrauen sowie so einiges anderes Schreckliches thematisiert wurde und auch Jens Friebe mitmischte und da ich nebenbei Bloody Mary trank, war also auch ich gut unterhalten, gehorrort und alkoholisiert.
Ich dachte ja nun schon seit längerem, dass jene Frauen, die sich um Christiane Rösinger und Jens Friebe formieren, das klügere und gleichzeitig furchtbar riotgrrrrlige feministische Gesicht der letzten beiden Jahrzehnte "hier" abbilden, aber dass es die von Jens Friebe in seinem Ausgehtagebuch "52 Wochenenden" als Dr. Miess bezeichnete nun tatsächlich zum Doktortitel gebracht hat, das erfüllt mich mit tiefer Freude. Ist das nicht DER neue Traumberuf? Hauptberuflich Bassistin und nebenbei Monsterforscherin? Das nenn ich mal ikonenhaft!
In Zeiten als ich noch speckig vor mich hinpubertierte und mir die Enge der Provinz tiefgehende Gefühle verbat, erschien mir das Leben der Heldinnen in Marian Keyes Romanen als das Erstrebenswerteste für meine Zukunft. Meistens flohen sie ebenfalls aus einer kleinbürgerlichen, beschränkten Welt (die oftmals Dublin war übrigens, nicht etwa Hof/Saale)in die große, aufregende, offene Stadt (so gut wie immer: London). Dort verstritten sie sich dann mit ihren Freundinnen und ihrer Familie, verliebten sich unglücklich und andersherum, gingen Sonntags Curry essen, verfielen der Drogensucht,trugen hübsche Schuhe und clubbten. Ich weiß nicht, irgendwie fühlte es sich für mich beim Lesen so nach Leben an und ich dachte, das Glück käme mit dem Leben.
Dann zog ich selbst von Hof nach Berlin, verstritt mich mit Freundinnen und Familie, verliebte mich unglücklich und andersherum, verfiel Zigaretten und Alkohol, ging Sonntags Gözleme essen, trug weiterhin hübsche Schuhe und clubbte. Und es fühlte sich tatsächlich an wie Leben und war daher schon mehr Glück als die Vorstellung davon vorher. Doch je weiter der Horizont wurde, auch durch all das (man mag urteilen, wie man möchte, für mich ist die Macht des lebendigen Lebens nicht zu unterschätzen), desto mehr fragte etwas in mir nach Antworten, auf die Frage: Was mach ich denn jetzt nun, jetzt wo ich tatsächlich merke, dass der Körper, der an mir dranhängt, lebt? Wo führt das Menschsein denn nun hin, wo ich merke, dass ich Mensch bin? Irgendwie hatte Marian da schon eine Antwort gefunden, mit der sie die starke-Frauen-Single-Literatur begründete: Du darfst zwar ne Weile irrig suchen, aber glücklich wirst du clean und mit Mr. Right. Das ist das wahre Leben. Ein ähnliches Rezept verfolgte ja auch Sex and the City: Geh in die große Stadt. Verlieb dich. Sei finanziell unabhängig und spiel ein Weilchen rum, aber glücklich wirst du mit dem Einen und um so besser, hat er die Kohle für ein Appartement, das größer ist als deins. Am Leben ist man, um eine Weile umtriebig zu sein und dann durch den neu gewonnenen Frieden in Form von Gesundheit, Zweisamkeit und finanzieller Sicherheit all die gewonnene Lebendigkeit wieder wegzuwerfen? Nein, nicht mit mir!
Ich fühl das Blut in mir rauschen und das Herz pochen, ich lauf durch die Straßen und bin neidisch, mitleidig, verliebt, verbittert, frierend, erwärmt, verbandelt, vereinsamt, isoliert und integriert. Ich hab keine Ahnung, wo ich hin möchte, aber wer sagt denn, dass ich das muss? Wer hat sich das eigentlich ausgedacht, dass man irgendwann all das innere Flirren, den Unrast, die Zweifel, die Brüchigkeit, das Lernen und das Verwerfen zu Gunsten eines Seelenfriedens aufgeben soll? Das war bestimmt der selbe, der auch das verdeckelte, verkaufsfertige Glas Wein im Supermarkt erfand. Soll mir mal jemand nen Seelenfrieden zeigen, in dem man noch wird und intensiv fühlt und vielleicht lass ich mich zu dem Mist dann auch noch überreden. Ansonsten trink ich weiter aus der Flasche.
Mit dem aufregenden Glanz von Glamour und neuer Weiblichkeit ködern sie uns und locken uns ins altbackene Hausfrauendasein, nur mit eigenem Geld diesmal. Unter der sympathisch-witzig-verkorkst-weiblich-selbständigen Fassade luken bei näherem Hinsehen repressive, schubladisierende Verkörperungen von "Frauen" jenseits einer wirklich sympathischen grenzenlosen Menschlichkeit. Obacht, denn patriarchale Strukturen können ebenso auf High-Heels daherkommen, wie selbstbestimmte Frauen und Männer.
Will sagen: Doktor in Monsterforschung und Bassistin wird es sich leichter in der großen Stadt; Heiraten, Kinder kriegen, Kleider kaufen, kannst Du auch auf dem Dorfe.

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