Rapunzel hatte entschieden, ihr Haar dem Prinzen nicht herunterzulassen. Ihr nützte es wesentlich mehr im Turmzimmer, wenn sie es abschnitt und in traurigen Wellen zu Boden tränen ließ und Brücken schlagen zwischen Stuhllehne und Kopf, die sich in regelmäßigen Abständen zu Brüchen wandelten. Denn ein h ist ein k mit Rundungen und nichts weiches liegt in den Brüchen. In Brücken schon, über Bäche und zwischen Menschen, aber wer weiß das schon nicht, dass das Weiche in den Brücken liegt und das Harte in den Brüchen, wenn die Brüche uns zwischenmenschlich erregen und in unserer eigenen Persönlichkeit doch auch. Manchmal nennen wir diese Erregung an uns selbst Gefühl der persönlichen Identität, und deshalb sind es doch immer die selben Leute, die uns an- und ausziehen, das Du und das Ich zum Beispiel.
Manchmal hat das Du eine kugelsichere Ich-Weste an, und es lächelt Dir zu und du freust Dich, das scheint Dir doch normaler, als vorm Spiegelbild oder auf dem Klo zu denken: Och, geil.
Ferner ist das Ich manchmal ein Du, wenn es sich auflöst und wir uns gleich mit. (Wo kommt denn dieses "wir" jetzt her?)
Gedankenlos zitiere ich beim Abwasch Améry und meine Mitbewohnerin sagt, ich kennte sie nicht das ganze Leben und das war später, nachdem sie mir heftig widersprach und meine Zunge im Ausguss zirkulierte. Ein Tropfen Blut über den Rand des frischgespülten Weinglases und den Artikel über Körperflüssigkeiten am Frühstückstisch.
Als es gerinnt, ist es rot und bräunlich, wie Rapunzels Haar, das sie in bedrohlicher Enerviertheit geschnitten hat. Im Bestreben nach einer Tätigkeit mit den Händen, ohne Herz und Kopf, wie sie rar in ihrem beengten und in die Höhe geschossenem Leben war, hatte sie es zu einem Strick geflochten und während sie ihn am Ende um den Hals legte und fest verknotete, stellte sie sich auf einen Stuhl. Ja, der Stuhl, über dessen Lehne zuvor noch durch das Haar die Brücke zwischen Mensch und Mobiliar geschlagen wurden war und der still in der Einsamkeit des Turmzimmers, welches seine Schönheit in nur im Licht sichtbaren Staubornamenten schüchtern feil bot, vor sich hin stand. Mit Blick auf die Turmstuckdecke, ergriff sie erneut die Schere und durchschnitt den rötlichen Knoten nahe ihres Kehlkopfes.
"Durch diese schöne Anstrengung mit sich selbst bekannt gemacht, hob sie sich plötzlich, wie an ihrer eigenen Hand, aus der ganzen Tiefe, in welche das Schicksal sie herabgestürzt hatte, empor.", so hatte es Kleists Marquise von O. gemacht und so schmiss Rapunzel ihren Strick Haar aus dem Fenster und seilte sich daran auf den Boden hinab. Darüber nachdenkend, welcher Name für einen Herrschaftsbereich passend war, der weder Matriarchat noch Patriarchat sein sollte, ging sie fort in die Stadt und bewohnte fortan Plattenbauten in der ersten Etage.
ja. das finde ich doch sehr gelungen! in welcher welt wohl das wallend wellige haar so lang gewachsen war? oder es war das warten selbst, das warten zur selbsterkenntnis/selbstverständnis --> und demnach zum ausbruchwerkzeug herangewachsen. bekanntlich wartet keiner allein auf "godot" ... und um irgend hin zu gelange, sind alle mittel zum zwecke geeignet. vom war- über den ist- zum möchtegernzustand.
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