31. Juli 2010

Was man is(s)t und so...

Das Ungefährlichste, was man an einem Freitagabend wohl machen kann, und damit meine ich jetzt nicht nur gefährlich im Sinne von Gewaltattacken, sondern auch so emotional und so, ist die Generalprobe eines Theaterstücks in der Schaubühne zu sehen und danach zu dritt biertrinkend und essend den Kuhdamm entlang zu schlendern. Von wegen!
Es beginnt damit, dass ich mir Nähe Wilmersdorferstraße eine Falafel kaufe. Und ein Mann daneben steht und meckert. Es wird mir erst nicht klar, was seinen Unwillen erregt, wie sollte auch ein kichererbsenhungriges Mädchen Keifen hervorrufen, bis er schließlich sagt: "Das gibts ja nicht! Isst einfach meinem Essen das Essen weg!"
Ach so, weil ich kein Fleisch bestellt habe, aha. Mir war gar nicht bewusst, dass Menschen diesen Satz wirklich laut aussprechen, ihn nicht nur in der studivz- Gruppenliste stehen haben, um zu zeigen, "Scheißökopropaganda kann mich mal!"
Dann mache ich den Fehler, draußen vor meiner Begleitung von meiner Meinung zur Denkmalspflegepolitik Berlins und Potsdams zu reden, als ich von der Seite ein Hauchen spüre und der Mann mich böse anstarrt und erläutert: "Du redest nur Blabla und von Berlin haste keine Ahnung! So eine Scheiße! Alles Zugereiste und wollen mir was von Berlin erzählen!"
Schön, dass ich langsam weiß, wo ich in Berlin stehe. Halbschwäbische Vegetarierin! Wie wage ich es eigentlich, nach draußen zu gehen und zu essen? In Charlottenburg? Wieso bleibe ich nicht zu Hause, brate mir Gemüsesticks mit Ebly, verlasse das Haus nur, um mit der Ringbahn zur Schönhauserallee zu fahren und Latte zu trinken? Aus Weizenkaffee? Wieso date ich nicht tighte Mitteschnitten mit Seitenscheitel und werfe mit Bandnamen um mich, die keiner kennt?
Oder wohl hätte ich einfach ganz zu Hause bleiben sollen und Medieninformatik studieren. Da könnt mir nix passieren und der Tofu von Aldi-Süd ist doch eh der Schickste.

29. Juli 2010

Leise ist mein Berlin

Ich kündigte ja neulich an, einmal eine Berlinhymne zu schreiben. Aber das habe ich nur gesagt, um mein Angekotztsein über den ewigen Städtevergleich München - Berlin - Hamburg zum Ausdruck zu bringen, weil ich Berlin einfach lieber mag und das nicht ständig zur Diskussion stellen möchte. Hymnen finde ich eigentlich ziemlich doof. Ich muss doch nicht den Ort besingen, in dem ich mich wohl fühle, denn es ist wohl weniger der Ort, der das macht, als mein Hingehen hierhin und die Menschen, die ich hier traf und Seiten eines Ichs, welches ich hier kennenlernte. Und doch gibt es Tage, an denen ich denke, sie wiederführen mir nur hier. Ich kann das nicht begründen und wahrscheinlich ist das auch nicht wahr. Aber es lässt mich Gedichte schreiben wie dieses hier:

Leise ist mein Berlin
und es hat Alleen, Büsche, Sträucher, Aufzüge und Straßenlaternen.
Über den Friedhöfen liegt die Ruhe, die man im Park sucht und nur hier findet.
Wenn ich dort küsse und sage, "Hier ist es still",
vergeht sich ein Ghettoblaster mit "Umz Umz" an meinen Herzrhytmusstörungen.

Leise ist mein Berlin
und es gibt Kuchen, Rhabarbersaftschorle und Eiskaffee, der sich in schelmischer Süße als Eisschokolade verkleidet.
Über den Autoabstellplätzen liegt ein Gefühl von zu Hause, das mir näher und härter ist als das Sachte in den Hinterhöfen.
Wenn ich dort stehe und zu einem Fenster hinauf sehe,
streicht mir ein Wind um die Schultern, der mich an die Mülleimer in der Ecke wirklich glauben lässt.

Leise ist mein Berlin
es gibt dich, sie, ihn und mich. Deine Stimme ist weich und klug. Ihre Stimme schmeichelt und neckt. Seine Stimme ist rauh und fest. Meine Stimme flüstert, denn leise ist mein Berlin.

19 Einträge...

in 20 Tagen.
Fast ein Eintrag jeden Tag.
Einer fehlt, weil ich etwas glücklich war in dieser Zeit.
Danach fehlt keiner, weil ich wohl sehr traurig war.
Ich hoffe, man hat ein bisschen gelächelt.
Und vielleicht auch ein bisschen geweint.
Aber ein Mundwinkelzucken und ein Blick machen mich schon zufrieden.

Und im Übrigen existiert dieser semidepressive Eintrag nur, weil heute/morgen noch ein viel schönerer kommt. Ich will eben 20 Einträge in 20 Tagen, Baby!

28. Juli 2010

Riiiiiiiiiiioooooooootgrrrrrrrrrrllllllllll!



Viele Facebooktests sind ziemlicher Schrott, aber ab und zu trifft man sogar mal auf einen mit Herz und Humor. Ein solcher Test war: "Was für ein Punk bist du?" Und das sage ich jetzt ganz schamlos nur deshalb, um mein kuhles Ergebnis in diesem Test zum Besten zu geben:
"Result: Riot Grrrl/Boi//Die ganze scheiß Mackerscheiße geht dir ganz gehörig auf die Ketten. Der einzig gute Song von den Ärzten (Chauvischweine!) ist der mit "Schwanz ab!" drin und auf deinem Rücken ist fett "Judith Butler fucking rules" tätowiert. Yeah!"
Endlich brauche ich mir also nie wieder Gedanken über ein mögliches Motiv zu machen, wenn mir irgendwann der Sinn nach ritualisierten Schmerzen, die eine ewig währende Körperzeichnung zur Folge haben werden, steht.
Auf dieses Ereignis meines gestrigen Tages folgend, habe ich dann erstmal ganz viel Bikini Kill gehört. Und dann natürlich wie immer die Lassie Singers. Und den Blogeintrag von Amanda Palmer gelesen.
Und, im Rahmen meiner schon längst erlangten, aber sich stetig erweiternden Genderkompetenz muss ich, mich selbst einschließend, bei allen Künstlerinnen, mit denen ich mich beschäftige, fragen: Gehe ich hier nur nach dem Prinzip der Visibilität vor? In welcher Art und Weise polarisieren sie? Oder assimilieren sie sich gar?
Gut, fangen wir an. Visibilität bei Bikini Kill. Visibilität bedeutet unter Betrachtung des Merkmals Geschlecht (man könnte das Ganze auch mit der Kategorie Alter, Rasse oder Klasse durchführen), dass man nicht die eigentliche Leistung einer Person neutral betrachtet, sondern nur, was für eine Leistung sie unter Einfluss ihres Geschlechts erbringt. Zeigen Bikini Kill also für mich nur, dass Frauen besser punkrocken können als Männer, oder zeigen sie mir nur, dass sie es nicht so eindringlich rotzig können? Oder bin ich schon so weit in der Liga des Geschlechterdekonstruktivismus aufgestiegen, dass ich sagen kann: Bikini Kill, eine ziemlich gute Punkband, aber nicht die Beste? Also, ich betrachte Bikini Kill schon unter dem Einfluss ihres Geschlechts. Ich würde sie wohl nicht hören, wenn nicht "I like fucking" einen dermaßen feministisch- wegweisenden Text über weibliche Sexualität hätte. Würde eine Männerkombo so etwas darbieten, bei gleicher Qualität des Musikalischen, ich würde es auch mögen. Aber soweit mir bekannt, gibt es keine mit diskursfeministischen Texten. Oder? (Das ist ein ernstgemeintes, fragendes "Oder?", kein bestätigungsheischendes.)
Same about the Lyrics bei den Lassie Singers. Aber deren Musik finde ich auch ähnlich dilettantisch großartig wie die von Tocotronic. Christiane Rösinger fänd ich auch super, wäre sie ein Mann. Lassie Singers sind einfach Menschen mit guter Musik und guten Texten, die sich kritisch-ironisch mit ihrer sozialen Rolle auseinandersetzen. 1:0 für die Lassie Singers gegen Bikini Kill in der Kategorie Visibilität.
Polarisierung in der Rolle der Frau bei Bikini Kill. Nehmen sie ihre Außenseiterposition an oder passen sie sich der Mehrheit an? Ich würde sagen, bis auf stimmliche Unterschiede ist das einfach urster, einfachster Punk. Der nicht angepasst sein muss, sondern aus dem menschlich Innersten aufsteigt. Bei den Lassie Singers? Eindeutig Akzeptanz der Außenseiterposition. "Weibliche Hysterie" wird wundervoll verknüpft mit "weiblichen" Problemen. "Doing Gender" mit einem Augenzwinkern. 2:0 für die Lassie Singers.
Assimilation? Da hab ich jetzt irgendwie keinen Bock drauf, weil das so ein bisschen ist wie die Frage, was war zuerst da: Das Huhn, oder das Ei?
Die Lassie Singers haben also wieder einmal gewonnen. Achso, ich wollte mich ja noch selbst als Schriftstellerin reflektieren, aber, huch, das hat doch der Facebooktest schon getan. Siehe oben! Ach, und Amanda Palmer? Die ist eben ein bisschen wie ich. Anachronistisch, peinlich, romantisch, künstlich, echt, versoffen, immer ein Konzept von sich erschaffend.

Bildnachweise: taz.de//amoeba.com

27. Juli 2010

Und wenn...

mir die Worte fehlen, dann denke ich sie mir aus.
Und wenn mir Menschen fehlen, dann weiß ich auch nicht weiter.
Und wenn mir die Geduld fehlt, dann gibt es zwei Optionen: Hibbelig werden oder stark sein.
Das eine ist ein Werden, das andere ein Sein, doch ist ersteres mehr Sein als Werden.
Und wenn ich mehr bin, als ich werde, dann weiß ich auch nicht weiter.
Und wenn mir der Alltag über den Kopf wächst, dann schaffe ich mir Alltagspoesie.
Und wenn Poesie zu Alltag wird, der die Poesie verleugnet, dann weiß ich auch nicht weiter.
Und wenn ich kein Ziel habe, dann suche ich nach einem.
Und wenn ich keines finde, dass ich je erfüllen kann, dann weiß ich auch nicht weiter.
Und wenn ich weder denken noch sprechen noch stark sein noch werden noch zielen kann, dann schreibe ich.
Und wenn mir das irgendwann fehlt, weil das nicht mehr geht, weil ich überhaupt nicht mehr ziele und werde, dann weiß ich auch nicht weiter.

How are things down under?

Geschlechtersoziologie zu lernen ist mir ein Anliegen, ein großes sogar, denn ich möchte diese Klausur HERVORRAGEND bestehen. Das meine ich sogar so halbernst, ausnahmsweise.
Und doch war es mir ebenso ein Anliegen, zahlreiche Scrubsszenen zu sehen und final: "Eiskalte Engel" (Cruel Intentions).
Und zwar nicht allein. Kennt hier irgendjemand etwa nicht diesen Film? Diese grauenhaft-tolle-lächerlich-tragische Trashverarbeitung von "Gefährliche Liebschaften"? Was für ein merkwürdiger Film, den man sich seit 11 Jahren, die er existiert, mindestens einmal im Jahr ansieht. Zugegeben, ich hatte es dieses Mal schon ein paar Jahre ausgelassen, um ihn, ganz plötzlich älter als die Protagonisten, und genauso alt wie die Darstellenden, als Ablenkung von Lernen und Leben zu glotzen. Wie herrlich es ist, wenn tragische Probleme des Lebens so künstlich dargestellt sind, dass sie einen völlig kalt lassen!Ganz im Gegensatz zum 25-jährigen Po des Ryan Phillippe.
Ein Eintrag, fast so schlecht wie der Film. Aber toller Soundtrack .

25. Juli 2010

Oh, wie gern hätte ich ein Boot.

Denn ein Boot zu haben, ist wohl schmerzhafterweise schon am allernächsten daran, im Wasser zu leben. Sofern es nicht die Möglichkeit gibt, eine Seejungfrau zu werden, muss ich mich wohl mit diesem Lebensziel begnügen. Wenn die andere Möglichkeit existiert, sagt mir Bescheid. Solange ich unter Wasser auch irgendwie schreiben kann, zieh ich sofort um.
Eine Freundin hat mir neulich die wunderschöne Geschichte ihrer Eltern erzählt. Die beiden sind schon sehr lange verheiratet und verbringen drei Tage die Woche in der Wohnung ihrer Mutter und zwei Tage lebt der Vater auf seinem Hausboot. Das ganze spielt sich in Amsterdam ab.
Träumte ich immer von einem Leben wild und frei allein, in einer winzigen, verkramten, aber schönen Wohnung in einer großen Stadt, einer solchen Wohnung, in der ich mich zwar wohl fühlte, doch nicht zu sehr zu Hause, denn mein Zuhause wollte fürs Gesamte die Welt sein, und für den Alltag meine Stadt, so träume ich tatsächlich temporär von einem solchen Leben auf dem Hausboot. Wo ich mit mir, meinen Gedanken und dem Wasser allein sein, um meiner Rastlosigkeit nachzukommen hin und wieder durch die Gegend schippern und dennoch ab und zu anzulegen würde, und mich auf jemanden freuen, der an Land ist und mit beiden Beinen auf der Erde verwurzelt. Nicht im Sinne von bodenständig, sondern von real, lebendig, konturenvoll. Ich selbst neige nämlich ein bisschen dazu, verwässert und wild durch die Gegend schwimmend zu sein, die Wellen ein bisschen zu sehr um mich selbst schlagend. Das finde ich nicht besonders schön, immer, nur manchmal.
Doch nur dieses Leben erreichen zu wollen, das scheint mir ebenso vermessen. Daher begnüge ich mich erst einmal damit, die Emanzipation der Herzen und deren Erreichung durch mein Tun- und damit meine ich durchaus Schreiben, Theater spielen, Textilien bemalen, Gedichte lesen, emotionalen Dringlichkeiten nachkommen- im Kopf zu behalten und am Wasser entlang zu laufen.
Ich empfehle in Berlin sehr, dies am Charlottenburger Kanal nahe des Schlossparks Charlottenburg zu tun. Es lässt sich hier auch hervorragend an einen Baum setzen, auf das Wasser starren oder lesen. Zum Beispiel die Biographie der Else-Lasker Schüler von Kerstin Decker "Mein Herz- Niemandem". Wie das Leben und die Briefe dieser kaputten Frau mein Herz zerspringen lassen! Mit ihrer Lyrik konnte ich noch nie so viel anfangen wie jetzt. Wie konnte Kafka sie nur als "Kuh vom Kurfürstendamm" bezeichnen?
"Kuh" ist ein frauenabwertendes Schimpfwort. Ich glaube, die Lasker spürte genau wie ich, dass es nicht gut war, sich durch sein "Frau-sein" zu definieren und erfand daher den Prinz von Theben, für den ihr Vater, der sie in Hosen steckte, den Weg geebnet hatte. Ebenso unangenehm war ihr ihr Frau-Sein, in den Augen der Gesellschaft und zu bestimmten Momenten, wohl bewusst und dass es vorteilsbringend, aber stechend sein kann, wenn das Frau-Sein ab und zu das Einzige zu sein scheint, das man hat. Dann hätte man gerne einen (Fisch-)schwanz und würde sich ins Wasser begeben.
Oh, wie gern hätte ich ein Boot.

24. Juli 2010

It's my Party

...and I'll cry if I want to
Cry if I want to, cry if I want to
You would cry too if it happened to you!
(Lesley Gore)

Dieses Zitat erzeugt eine Stimmung und wird der einzige offenkundige Ausdruck meiner Heartbrokeness in diesem Text sein. Andere Ereignisse zu beschreiben hat nun den Vorrang.
Es war nämlich gestern so eine Nacht. Nach der ich nach drei Stunden aufgewacht bin und dachte, was für eine Nacht. Und nicht wieder einschlafen konnte.
Ich bin gestern nach Friedland gefahren und habe ein paar Stunden lang vor einer Kasse gesessen. Denn es fand das "Friedlandtreffen" statt, eine Festivität, bei der sich das gleichnamige brandburgische Dorf stolz auf seinen Zusammenhalt zeigt und gleichzeitig den Zusammenhalt mit dem "Jenseits von Millionen" Festival, welches von jungen Indiefritzen, zum Großteil in Berlin wohnend, organisiert wird, feiert. Dies geschieht in einem sympathischen Benefizfestival, bei dem zunächst ein paar, größtenteil sehr junge, Lokalbands in völlig angemessenem Stolz ihr ebenfalls sehr junges Publikum erfreuen. "'Sickaboom' sind ganz großartig, ich hab mit zwei von denen grade Abi gemacht", erklärt mir später enthusiastisch ein sympathischer Junge. Ich habe keine Ahnung, wer Sickaboom waren, denn ich war sehr beschäftigt damit, Bändchen über fremde Arme zu ziehen (kann mir vielleicht jemand mal erklären, warum Menschen den Reflex haben, wenn man ihnen etwas über das Handgelenk ziehen möchte, alle Finger von der Hand zu spreizen?) und mir dabei gleichzeitig die Nummern für die Tombola zu merken, aber dieser Enthusiasmus scheint einfach wundervoll, und mir ist kein Ton negativ aufgefallen, als ich mich schuftend berieseln ließ.
Ich möchte nicht alles beschönigen. Es war ein großartiger Zusammenhalt zu spüren, ich finde es sehr schön, was in diesem Dorf auf die Beine gestellt wird. Dass es aber am späteren Abend außerhalb des Geländes zu Schlägereien kam, die einen solchen Hintergrund zu haben scheinen, der nicht nur auf "ein paar Minderjährige haben etwas zu viel getrunken" zu beschränken ist, macht mich traurig und wütend.
Kurz nachdem ich von diesen Vorfällen erfuhr, durfte ich Feierabend machen und mir "Anajo" ansehen, die nach "Mein Mio" spielten.
Ich kenne Anajo nun schon seit so vielen Jahren, aus der zehnten Klasse, in der alles begann. Und so kam es, als ich deren charmantes Augsburgerisch vernahm, dass ich tatsächlich, und das ist bei mir ja nun wirklich selten, eine Art von kleinem, stechendem Heimatgefühl spürte. Nein, nicht nach Bayern, sondern nach dieser Zeit, die ganz und gar nicht sorglos war, aber tatsächlich irgendwie unschuldiger.
Ich bin fast 22 Jahre alt und habe Anajo gestern das erste Mal live gesehen. Mit einem Mädchen, das ich ungefähr da kennen lernte, als ich auch Anajo kennen lernte. Es war so schön, aber auf eine ganz merkwürdige Weise. Wahrscheinlich ist Anajo mit 22 das erste Mal live sehen ein bisschen so, wie mit 20 das erste Mal zu küssen. Irgendwie schon sehr schön, dass es endlich mal passiert, und es hat dann wahrscheinlich auch eine Bedeutung, dass es in diesem Moment und genau mit diesem Menschen und genau zu diesem Zeitpunkt und an diesem Ort geschieht. Aber machen wir uns nichts vor: Wer mit 20 noch nie geküsst hat, der schafft das dann auch nicht mehr aus eigener Initiative. Also entscheiden dann doch die Umstände darüber, dass es letztendlich so wird, wie es wird. Und so kann man sich zunächst wohl nur in dieses Schicksal ergeben und damit glücklich sein, aber irgendwann wird man nochmal darüber nachdenken, ob das ganze denn wirklich diese Bedeutung verdient, wenn man es nicht selbst für nötig gehalten hat, diesen großen Moment zu veranlassen.
Anajo mit 22 zu sehen war für mich also unverzichtbar, auch wenn es im patschendem Regen geschah. Es mit der einen Freundin zu erleben, war auch sehr, sehr wichtig. Es hat Spaß gemacht. die Band verzaubert immer wieder, auch in neueren Songs mit einem sympathischen Blick auf unsympathische Sachen. Irgendwie trägt man ja selbst Seitenscheitel und spielt Indiepop, aber irgendwie hasst man auch Indiepop und Seitenscheitelträger. darum ist man etwas ungekämmter und peinlicher als der Rest, sieht so aus, als wolle man dazu gehören und schaffe es nicht. Manchmal finde ich sogar, dass Anajo etwas zwischen Sportfreunde Stiller und Tocotronic liegen, mit drückendem Hang zur unteren Seite, zu den treu-doofen Sportsfreunden. In bösen Momenten.
In guten finde ich sie einfach unheteronormativ, die Emanzipation der Herzen gender-trouble technisch ("Mädchenmusik", "Amsterdam-Mann"), beziehungs- und herzschmerzdefinierend ("Hommage", "Spätsommersonne", "Zähme den wilden Tiger in mir", "Vorhang auf"), freiheitspropagierend ("Villa am Strand", "Süßwasseraquarienfische") und bekenntnishaft zur eigenen, unkonventionellen, doch nicht unüblichen Irrheit ("Hilfe Elfe Fee", "Die Tränen sind immer noch meine") in enormen Schritten vorantreibend. Tolle, unkonventionelle Texte, musikalisch immer nah am Schlager, die Deckungsggleicheit vermeidend durch Oliver Gottwalds nöliger Stimme, mit dem süddeutschen Stigmatismus gespickt und dennoch nicht nervig.
Für mich jedenfalls, die sich mit den Texten auseinandersetzt und nostalgische Gefühle mit dieser Band verbindet.
Aber um zu meinem Vergleich zurückzukommen: Es wird wohl einen Grund gehabt haben, dass ich mir nie eine Anajokarte gekauft habe, nie auf ein Konzert gegangen bin, sie nicht zu meinen Lieblingsbands zähle. Ich mag sie sehr, sehr, sehr gerne und wohl habe ich einfach die Gunst der Gelegenheit genutzt, nach Friedland zu fahren und Anajo im Regen zu sehen und glücklich zu sein und das ist auch völlig o.k. und bedarf keiner näheren Betrachtung.
Eben so unverhofft und inkonsequent geplant, wie mit 20 geküsst zu werden.
Ich weiß nicht, ob dieser Vergleich eher schief als eben ist, denn ich weiß nicht, wie es ist mit 20 das erste Mal geküsst zu werden.
Wohl weiß ich, wie es ist, nach einem so euphorisierenden Konzert zu viert im Auto nach Berlin zu brausen, um nicht ins Bett, sondern zur Jenseits von Millionen Warm-Up Party in den halbfrisch nach Kreuzberg umgezogenen Magnet zu gehen. Die Fahrt war ein einziger Hit, genau wie das Hitradio der siebziger und achtziger, das wir ganz im Stil unserer Eltern angestellt haben und lauthals mitsungen, aus reiner Euphorie und Jugend. So sehr schön, dass wir auf dem Weg zum Club noch verstörte Blicke ernteten, die uns aber herzlich egal waren. Und mit herzlich meine ich in diesem Moment, dass es uns eben eine Herzensangelegenheit war "Without You" von "Bad Finger" zu gröhlen. Es machte einfach so traurig-glücklich, eine einzige Tragikkomödie.
Der neue Magnet ist nicht so unoriginell, wie mir berichtet wurde, er verfügt über eine ähnlich schöne Raucherterasse wie der alte und auch die Räumlichkeiten sind nicht zu groß und nicht zu klein. Die Musik war sehr durchwachsen. Gruseliges Grunge-Indie-Gemisch teilweise. Tolle New-Wave, Punk und Indierocksachen aus den Achtzigern und Neunzigern. Aber herausstechend war wirklich Schommsens DJ-Set, das ein hartes, doch keinesfalls seelenloses Elektrobrett lieferte, bei dem ich zunächst auf der Couch wütend die ersten Seiten meines Romans schrieb, bis ich mich nicht mehr halten konnte und völlig bein- und herzbestimmt tanzen musste. Dass am Ende noch aus Sympathie mit uns, die wir uns vor ihm als DJ verneigen müssen, Superpunk und Jens Friebe gespielt wurden, finde ich wirklich ganz berückend. Wirklich.
Die Heimfahrt war der großartige Abschluss dieser so lebendigen Nacht. So lebendig habe ich mich glaube ich nicht einmal bei meiner Geburt gefühlt.
Jens Lekman- Friday Night at the Drive-In Bingo. Der Freund, der rief: "Berlin ist so schön!". Die Leute im Taxi nebenan, die uns an der Ampel anlächelten. Wie mir alle drei im Kollektiv die Haare wuschelten. Wirklich, ich weiß gar nicht, was ich nach drei Stunden Schlaf noch sagen soll. Deshalb hör ich jetzt auf und wähle einen Song als Soundtrack, quasi stellvertretend für all die Songs des Abends.

23. Juli 2010

Tomatensaft am Morgen


Schön ist es, aufzuwachen und zu hören, dass es draußen regnet. Und obwohl nackt schlafend, freut man sich darauf, sich gleich das erste Mal seit so verdammt langer Zeit, eine Jeans und einen Kapuzenpullover überzuwerfen, wenn man zum Friedlandtreffen fährt, was natürlich auch sehr schön ist, dass man das tut.
Schön ist es, dann in die Küche zu gehen und ein großes Glas Tomatensaft zu trinken. Und wissend zu lächeln, warum der Tomatensaft noch hier ist.
Schön ist es nämlich, wenn man jemanden hat, der einen besucht, mit Tomatensaft, Wodka und Tabasco im Schlepptau, mit dem man den tollsten Cocktail der Welt etliche Male mischen kann, während man differenziert über alles redet. Schön ist es, wenn der jemand ein freies, kluges Herz hat, dass sich stoßen darf, nicht verletzt werden soll, den Kopf als Schutzmaßnahme heranzieht, aber ein Stolpern im Rennen nicht vermeidet.
Schön ist es, dass ich meine heißgeliebte "Bloody Mary" kaum Cocktail nennen mag, denn sie stillt nicht den Durst, aber die Sehnsucht nach Fülle in ihrer Konsistenz. Sie ist nicht süß, sie ist durch Meersalz, Zitronensaft und Tabasco salzig, säurig, scharf und aufregend. Sie macht nicht sofort duselig und betrunken, sondern langsam erst heiß, dann offen, dann müde. Ich sehe mir "Bloody Mary" gern an: Sie ist so rot, wie es kein komischer süßer Erdbeercocktail je sein kann. Sie sieht aus und schmeckt wie das Leben.
Und so schön es also ist, sich damit zu betrinken und doch nicht den Kopf zu verlieren, sondern herzaktiviert, aber, durch den Austausch von Gedanken, Nicht-Rekursivität vermeidend, zur Vernunft zu kommen.
Aber am Schönsten ist es, dass man jemanden hat, der den Wodka und den Tabasco wieder mitnimmt und für eine Weile von dannen zieht. Dass man dann erfrischt- denn von "Bloody Mary" kriegt man keinen Kater- aufwachen kann und sich darüber freuen, dass noch eine Packung Tomatensaft da ist. Zu geniesen ganz ohne Wodka und Tabasco, sondern aus dem Fenster in den Regen schauend und lächelnd. Nicht selig, nicht verträumt, aber halbwegs klaren Herzens und nicht grimmig.
Im Grunde ist "Bloody Mary" ja doch nur Tomatensaft mit Alkohol und gewürzt.

Bildnachweis:serviceseiten 50plus.

22. Juli 2010

Ein hammerhartes Pflaster.

Ich wollte jeden Tag etwas posten, um etwas Disziplin in mein literarisches Leben zu bringen.
Doch das Leben ist ein hammerhartes Pflaster, an dem ich auf der Stirn aufgeschlagen bin (ausnahmsweise ohne Fahrrad) und so würde ich lieber gerne schweigen über
meine Traurigkeit
über Dinge, die ich nicht mit mir in Verbindung bringe, die mich aber um so mehr bedrücken, da sie mit mir in Verbindung gebracht werden
über meine Unzufriedenheit mit mir selbst
über soziale Kälte
über mein Wundern darüber, wie ich vor einer Woche noch so viel lachen konnte.
So viele Worte, die man bringen kann,
wenn man eigentlich nichts sagen darf und will.
Zerstörtes Glück- Trinken- Schweigen.
Und dann hoffentlich irgendwann weitermachen können.
Mit was?

21. Juli 2010

Bike.

"they drive a limousine, we ride a bike
they own the factory, but we’re on strike!"
Anti-Anti/Bonaparte

Ich weiß doch, dass etwas im Busch ist, wenn ich nächtelang nicht schlafen kann, weil ich unter scheinbar unbegründeten Verlustängsten leide.
Zwischen gestern, dem 20.7.2010 11:05 und heute, dem 21.7.2010, 11:45 wurde mir mein Fahrrad an der Wilmersdorferstraße gestohlen. Gut, ich hätte es nicht so lange da stehen lassen dürfen, aber Trauer und Freude hinderten mich daran, es früher abzuholen. Und ich bitte dich, es war in Charlottenburg! Zwischen ein paar toll aufgeputzten pastellfarbenen Diamantfahrrädern stand es, dunkelviolett und furchtbar dreckig, mit einer Lampe, die sich gelöst hatte und sonst wo herumbaumelte und einem schleifenden Rahmen. Auch verfügte es über schrecklich hässliche, alpin anmutende Stickereien auf dem Sattel. Kurz, man sah ihm oder ihr seine studentische, marvellousmessige Besitzerin schon von weitem an. Leider haben die Charlottenburger zwar sehr wohl Geld, sich selbst ein Fahrrad zu kaufen, aber leider auch einen schrulligen, guten Geschmack. Dennoch ist es gemein und niederträchtig und ich habe mir einen Hut gekauft, den setz ich mir jetzt auf und trauere:

An meine Gefährt.

Dass du so einfach weggegangen,
da hast du es dir wirklich mit mir verschissen.
Doch da mein Herz so an dir gehangen,
werde ich dich auch wirklich sehr vermissen.

Gefährt, Gefährtin, Fahrradliebe,
für dich ist mir wirklich nichts zu peinlich,
denn waren es zwischen uns nicht nur Triebe,
du gehörtest mir wirklich, augenscheinlich.

Weißt du noch, als wir zum Mauerpark sausten,
du warst ein bisschen schüchtern wegen der Schicken.
Oder wie wir das erste Mal zur Tu-Bib brausten,
"Das Studium macht Spaß!" frohlockte ich und du musstest nicken.

Du warst nicht von hier, genauso wie ich,
aus der Provinz hatte ich dich importiert.
Die Hügel und Wiesen und Felder liebten dich,
die Freiheit hat dir, wie mir, imponiert.

Die volle Kontrolle über dich,
die erreichte ich daher leider nie.
Und da ich dich aber wollte für mich,
fiel ich vor dir mehrmals erbittert auf die Knie.

Auch wenn du treulos bei jemand anderem bist jetzt,
die Narben vom letzten Mal sind noch nicht mal Grinde.
Du wurdest von mir niemals überschätzt,
mal sehen, wie ich es überwinde.

Wer hier gelacht hat, mit dem wechsle ich kein Wort mehr.

20. Juli 2010

Es war einmal ein Mann, der hatte einen Korb.

Kennt ihr diesen alten, was ist das nur, ein Witz? Eine endlose Geschichte? Es ging so:

"Es war einmal ein Mann, der hatte einen Korb. In dem Korb lag ein Buch und da stand: Es war einmal ein Mann, der hatte einen Korb, in dem Korb lag ein Buch und da stand...u.s.w."

Dieser Witz, oder diese kleine Endlosgeschichte, das hat mich als 8-jährige mindgefucked.
Ich wollte ein Ende für diese Geschichte erfinden, am liebsten ein schönes, natürlich, aber auch ein unglückliches hätte mir gereicht.
Wahrscheinlich war mir die Traurigkeit dieser Geschichte schon damals bewusst, weil sie so sinnlos, unschön und gefühllos immer weiter geht. Ich bekam Kopfschmerzen, wenn ich sie hörte. Und auch, wenn ich sie selbst erzählte, was ich in seltsam abgestoßener Faszination immer wieder tat.
Heute kenne ich die Geschichte anders. Sie macht mir aber immer noch Kopfschmerzen. Wenn ich sie erzähle. Sie geht so:

Es war einmal ein Mädchen. Das kaufte sich ein Buch. Und da stand:

"Dieses grüne Ding, dem jeder die Nestwärme anroch, hat sich in etwas mehr als einem Jahr in eine blaße, großäugige junge Frau verwandelt, die lernt mühsam, aber für die Dauer, dem Leben ins Gesicht zu sehen, älter und doch nicht härter zu werden."(Christa Wolf-Der geteilte Himmel)
Das Mädchen las das Buch nie zu Ende, daher weiß sie nicht, ob dem Mädchen in dem Buch sein gutes, hehres Ziel gelang. Sie weiß aber, dass, sie sich in dieser Textstelle wiederfand, ebenso wie der arme Mann sich buchstäblich in dem Buch in seinem Korb wiederfand.

Warum wohl der arme Mann ein Buch in seinem Korb mit sich herumtrug? Irgendwie macht mich diese Überlegung noch trauriger, aber auf der anderen Seite tröstet sie mich auch ein bisschen, denn dass der Mann einen Grund hatte, das Buch in seinem Korb mit sich herumzutragen, das gibt der Geschichte eine spannende, kopfschmerzenvermeidende Komponente. Überhaupt, egal, was der Grund ist, würde ich diesen Mann treffen, ich würde ihm den Korb einfach aus der Hand reißen und ihn zwingen, lieber mit mir oder irgendjemand anderem, spazieren zu gehen und zu reden, anstatt diesen Korb zu tragen, mit einem quälend langweiligen Buch darin. Egal, ob er zetert und schreit darüber, dieses verdammte Buch, das ihm so wichtig ist, dass er es in einem Korb mit sich herumtragen muss, zu verlieren.

Zurück zur neuen Geschichte:
Sie hatte das selbe hehre Ziel, wie das Mädchen in dem Buch. Doch je mehr sie sich von dem Buch entfernte und ihr eigenes Leben lebte, spürte sie, dass sie nicht mehr dieses Ideal eines reifenden Menschen vor sich haben durfte. Das vielmehr die Menschen um sie herum, sie als eine fixe Frau wahrnahmen, die so war, wie sie eben war, die Mädchenfrau mit dem Buch und dem Ideal. Und irgendwann hörte sie auf, dieses Buch zu lesen, vernahm die vielen Stimmen um sie herum, die teils schmeichelnden, teils ablehnenden, in denen sie sich nicht mehr zurecht fand. Nicht mehr wusste- und nicht wissen wollte- was Frau oder Mann sagte, was Freund oder Feind. Also hielt sie sich die Hände auf die Ohren und rannte. Teils nahm man sie an der Hand und wies ihr eine Richtung, teils rannte sie weg und nahm selbst eine andere. Wenn sie hin und wieder zur Rast kam, zwang sie sich, ihr Ideal zu vergessen und ihr Werden pragmatischer zu fassen: "Werde ich Popliteratin, oder die Frau, die in die U-Bahn pullert?"
Und ironischerweise brachte sie diese Frage zurück zu ihrem Ideal. Sie konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass sie es nicht erreichen konnte, wenn der erste Teil der Frage ihre Antwort sein sollte. Wollte sie es allerdings nicht verraten, so würde der zweite Teil der Antwort ihr Schicksal sein.
Das Herz zerfraß ihr den Kopf. Popmusik machte sie empfänglich für die dringlichen Fragen, die aus ihr heraus sprachen. Und sie musste nun erneut rennen. Versuchte sie, jemanden nun an der Hand zu nehmen, nahm er sie ein Stück weit mit. Sie schien in eine Richtung zu gehen, die die ihre war, denn sie war sich sicher, solange man an einer Hand ging, die nicht wirklich an der Hand hing, jedoch am Herzen, konnte jeder in seine Richtung gehen, unter Stolpern, mit nackten Füßen, sich verletzend, aber doch in die richtige Richtung. Doch Gesetze der Hadronenphysik machten ihr schmerzhaft bewusst, dass es nicht funktionierte. Physik war eben noch nie ihre Stärke gewesen.
Also rannte sie weiter. Und fiel auf die Knie und las das Buch nicht zu Ende.
Ob das Mädchen immer noch rennt, das Buch in dem Kopf, in dem stand, dass sie nicht rennen sollte, und es dennoch tuend, das kann ich nicht sagen. Ich habe die Geschichte noch nicht zu Ende gehört. Ich bin mir noch nicht sicher, ob es ein Buch ist, bei dem man auf Seite 21 aus Langeweile stecken bleibt, und es zuschlägt. Oder ob es einfach nur eine endlose Geschichte ist. Nennen wir sie einen Witz, wie der mit dem Mann mit dem Korb, der natürlich gar keinen Grund für das Tragen von diesem hat. Er ist einfach nicht ganz richtig im Kopf.
Oder ob ich mir für diese Geschichte tatsächlich mal ein Ende überlege, anstatt Kopfschmerzen davon zu bekommen? Endlos rekursiv und dann return.

19. Juli 2010

Run Baby Run

"Die hat aber och eenen am Loofen. Rennt da über die ganze Wiese zum Mülleimer, obwohl auf dem Weg nach oben noch drei gewesen wären."
Jetzt weiß der, der das sagte: Ich musste rennen.
Ich muss immer rennen. Schon immer. Es wurde immer schlimmer. Es wird immer schlimmer. Als Kind reichte es mir lediglich Berge hinunter zu rennen. Mittlerweile renne ich mitten im Gespräch los. Es ist nicht unhöflich gemeint, wirklich. Wenn ich umbiege und zurück renne, werde ich, gut gedanklich durchgepustet, wieder an genau dem Punkt ansetzen, an dem du unterbrochen wurdest.
Wohl wünsche ich denen Kraft, mit zu halten, die mit mir betrunken von irgendwoher kommen und irgendwohin gehen. Mit dem Gehen ist dann nämlich nicht mehr so viel- es wird gerannt. Mittlerweile kann ich mit jeder Art von Schuh rennen, um jede Tages- und Nachtzeit, bei jeder Temperatur. Ich kann nicht. Ich muss.
Vielleicht wird es immer schlimmer, weil mein Leben sich immer mehr wie ein großes Rennen anfühlt. Früher hatte man so viel Zeit, dass man noch am Bach spielen konnte und sich stundenlang darüber wundern, dass eine Katze gefaucht hatte. Mich hatte jedenfalls bis zum Alter von acht Jahren noch nie eine Katze angefaucht.
Heute fauchen mich auch keine Katzen mehr an, das liegt aber an dem eher traurigen Umstand, dass ich einfach, in der Großstadt lebend, so gut wie keine Katzen mehr zu Gesicht bekomme, nur noch Hunde. Treu trotten sie neben ihren Frauchen und Herrchen her und bellen vor allem bei anderen Hunden. Die Anmut eines katzigen Schmeichelns oder eben Fauchens muss ich missen, ein Verlust, der mich tatsächlich so schmerzt, wie ich es mir nicht hatte vorstellen können.
Mir gelegentlich begegnenden Wohnungskatzen fehlt der gewisse Flow, den eine Dorfbachkatze in ihrem Fauchen mit sich trägt.
Also, was haben denn Katzen nun damit zu tun, dass sich mein Leben wie ein großes Rennen anfühlt?
Es fehlt das beruhigende Element, dass sich hinsetzen und geniesen auch o.k. ist. Ständig denke ich, dass ich jede Sekunde zur Selbstverwirklichung nutzen muss. Statt ein Buch zu lesen, schreibe ich einen Blog, statt ins Kino zu gehen, plane ich meinen Kurzfilm, statt meinen Urlaub vernünftig zu planen, denke ich über Praktika und Jobs nach, nur um mich dann doch nicht zu bewerben, und mich dann im plötzlichen Nichtstun wiederzufinden. Das natürlich auch keines ist, sondern mit Zukunftssorgen und weiteren Selbstverwirklichungsplänen ausgefüllt wird.
Und ich glaube, mit jedem Rennen, das zum großen Rennen gehört, geht ein Stück weit von mir verloren. Nein, das ist so nicht richtig. Ich renne sehr viel, und ich gewinne dabei immer was dazu, ich hab aber keine Ahnung, in welche Richtung ich eigentlich renne. Das ist es.
Nein, das ist es nicht.
Ich hab einfach nur einen zu loofen .

16. Juli 2010

Erkenntnisgewinn

... ist tatsächlich besser als Prokrastination.
Ich denke gerade über Statistik nach. Wirklich. Das Ganze macht eigentlich ganz schön Spaß, kommt mir in den Sinn, bei halbwegs freundlichen 25 Grad in der TU-Bibliothek. Wütend macht mich das schon ein bisschen, dass ich das erst 17 Stunden vor der Klausur fest stelle.
Aber Dienstags 17:45 in einem Computerraum, der für 20 Leute ausgerichtet ist, in dem aber ein Seminar von 50 Leuten begierig darauf wartet, dass ersehnte (und das meine ich tatsächlich ironiefrei!) Handwerkszeug für die Disziplin der Gesellschaftwissenschaft zu erlangen, war das schier unmöglich. Ebenfalls nicht förderlich war es, anstatt Zeit zu haben, die großen Zusammenhänge zu erkennen, für jede Woche sieben Seiten Aufgaben bearbeiten zu müssen, für die man, anstatt zu denken, die Powerpointpräsentation geöffnet hatte, und wahllos versuchte, in die Formeln einzusetzen, was in der Aufgabe gegeben war.
Nicht so motivierend war auch die Vorlesung, die dazu führte, dass ich dieses Semester einen freien Freitag hatte, durch einen Dozenten, der unfähig schien, zu vermitteln, dass wir hier keine höhere Mathematik gelehrt bekommen, nur um im "Kuschelstudium" Soziologie auch etwas Härteres um die Ohren gehauen zu kriegen.
Es macht mich traurig, dass ein tolles, erwähltes und geliebtes Studium sein kann wie ein erzwungener, schlechter Matheunterricht.
Es ist nämlich so, dass wir uns in unserer Berufung, die Gesellschaft bis in die Ameisendimension zu analysieren, damit wir uns vor dem aus der Vogelperspektive wie ein irrer Haufen anmutenden nicht allzu erschrecken, umzu erstarren, sondern fähig sind, mit Herz und Verstand, die Verwicklungen, die zu sozialen Schmerzen führen, zu entlarven, an einer Methode versuchen, das sensibel beobachtete nachvollziehbar und begründet aufs Papier zu bringen.
Dafür braucht man, wie eine von mir wiederum sehr geschätzte Dozentin sagte:"Ein cooles Besteck." Das ist alles. Ein Messer oder eine Gabel herzustellen ist nicht so einfach. Schöner ist es vielleicht, mit Stäbchen zu speisen. Aber wäre es meine einzige Möglichkeit, um das zu verzehren, was ich gerade begehre, zum Beispiel Kartoffeln, Spinat und Rührei, ich würde sie mir basteln.
Heute nicht von Bookish as Earl Grey, sondern einer Sozialforscherin in spe und aus Leidenschaft.

15. Juli 2010

Eine schöne Form der Prokrastination...

ist das Erstellen eines sommerlichen Mixtapes. Und mit Mixtape meine ich in diesem Fall auch tatsächlich "Tape." Perfekt, wenn man eigentlich ein mindestens 1000-seitiges Skript auswendig lernen sollte, das zu zwei Dritteln aus Pfeilen und Zahlen besteht.
"Oh, gleich mach ich ja weiter mit Kausaltyp III", denkt sich die so prokrastinierende, "aber vorher muss ich noch schnell die CD wechseln, und auf Record drücken."
Nebenbei kann man noch so einiges an Hausarbeit erledigen und es ist nicht gerade hässlich und langweilig anzusehen, die 40 Grad Buntwäsche, sich zu Kimja Dawson drehend, zu beobachten.
Tatsächlich, wieso nimmt denn (fast) niemand mehr Tapes auf? Wie charmant ist denn dieses Rauschen bitte? Dass es ab und zu dazwischen zu Schnipseln aus eigentlich nicht zugehörigen Songs kommt, weil man so schön ungeschickt ist? Man könnte auch sehr professionelle Übergänge basteln, aber dafür hat man zu viel zu tun, denn man prokrastiniert ja nur, beschäftigt sich nicht.

14. Juli 2010

G'schichten aus der Provinz.

An Sommerabenden kann alles passieren. Schönes und Schlimmes. Aber irgendwie bleibt es mir so oder so von Sommerabenden deutlicher in Erinnerung. Vielleicht, weil man Gerüche und andere Körperlichkeiten zwangsläufig prägnanter erlebt. Ähem.
Zumindest grenzt es fast an ein Wunder, wenn sich an Sommerabenden vier junge Frauen, die eigentlich mindestens fünf oder sogar noch mehr sind, die ein jahrelanges Schicksal als junge Mädchen in einer der schlimmsten Provinzen überhaupt teilten, es schaffen sich in der selben großen Stadt, in der sie nun alle leben, zu treffen. Und das mit dieser Infrastruktur!
Geschieht es aber doch einmal, so passieren derlei noch viel mehr wundersame Sachen. So wird sich endlich mal wieder an die verwickelte Geschichte eines stadtbekannten Tontechnikers, Dauermasturbation und Florenahandcreme erinnert. Da stellt man fest, dass sich Geschichten aus der großen Stadt von damals in das alltägliche Leben in der großen Stadt auf wundersame Weise einmischen können. Da wird bewiesen, dass es gar nicht so schwer ist, im Chor auf eine solche Geschichte folgend einen Bandnamen fragend zu kreischen und danach ohne Pause eine halbe Stunde zu lachen, Sektmate und Vitalmalz trinkend, sich nicht verschluckend. Da wird gestanden, dass man noch von Deutschlehrern träumt. Man fordert auf, alte Manierismen der Anpirschungskunst wieder aufzunehmen. Da wird einem wegen Dummheiten in der großen Stadt, die man begeht, tüchtig der Marsch geblasen. Auf dieses Wort folgend kann ich nur eine der jungen Frauen, die nicht ich selber bin, abschließend zitieren:
"Hätten wir in der Pubertät mehr Sex gehabt, dann wären wir jetzt bestimmt nicht so seltsam."

13. Juli 2010

Bay.




In Zeiten großer Gefühlsverwirrung und vollen S-Bahnen sollte man sich, auch als Stadtbewohner und direkt aus dem Statistikseminar, ans Bay setzen und sich den Kopf vom Wind durchpusten lassen. Für die Berliner unter euch, und noch besser, die in Potsdam studierenden Berliner, habe ich heute die perfekte Stelle hierfür gefunden. Leider habe ich kein Foto gemacht, aber ungefähr so, nur schöner sah der Blick aus.

Schlaflos, Part II

Guten Morgen.
Letzte Nacht hatte ich etwas, das man durchaus als Schlaf bezeichnen kann. Es waren gerade mal fünf Stunden, und er fand von Montagssonnenuntergang bis Dienstagssonnenaufgang statt. Als ich aufwachte, war die Luft in meinem Zimmer die selbe, doch das Licht draußen hatte sich verändert. Ich könnte jetzt hier einen Sonnenaufgang beschreiben, aber ich glaube, dass das Edvard Grieg und Caspar David Friedrich einfach schon passender gemacht haben, als ich es hier jetzt könnte.
Als ich die Tür zum Laubengang öffnete (und wer nicht weiß, was ein Laubengang ist, der versuche das bitte selbstständig herauszufinden), drang mir jedoch tatsächlich so etwas wie frische, klare Luft entgegen. Zu einer anderen Tageszeit hätte ich dies nicht erlebt!
Und für was man alles Zeit hat, wenn man bei Sonnenaufgang im Hochsommer aufsteht! Toast in den Ofen schieben, Kaffee kochen, Nougatcremebrot schmieren, frühstücken auf dem Laubengang, Gedichte lesen. Feststellen, dass man auf die "Sachliche Romanze" von Erich Kästner immer noch nicht klar kommt. Dann noch ein Brot mit pflanzlicher Margarine und vegetarischer Leberwurst essen.
Den Computer, den man gestern vergebens versuchte, in Gang zu bringen, ein weiteres Mal in Erwartung von Vergeblichkeit anzuschalten. Festzustellen, dass er nun sehr wohl wieder funktioniert. Dem Armen war anscheinend, genau wie mir, einfach nur zu heiß. Er konnte nicht mehr denken, machte sich schwarz und brauchte eine Pause. Von der fast meeresähnlichen Prise angepustet, reanimieren wir uns beide gegenseitig und stehen auf.
A softer World bebildert dazu großartig:
http://www.asofterworld.com/index.php?id=570

12. Juli 2010

Verstecken.

Manchmal möchte man sich verstecken. Wenn etwas richtig Blödes passiert ist. Vielleicht nicht man, sondern ich, handhabe jedenfalls immer noch die Methode, des Hände über die Augen haltens- ich bin ja weg, in meiner eigenen Welt, es ist also nie passiert.
Wenn man dann noch drei mal "Entschuldigung" sagt, dann ist es wirklich nie passiert. So dachte die vierjährige.
Die 21-jährige weiß, dass es eine Art von Moment gibt, in dem man die Hände lieber nicht zu lange über den Augen behalten sollte, um das Unglück oder die, denen man ein Leid, ob absichtlich oder unabsichtlich, angetan hat, anzusehen. Und zu verstehen, dass "Entschuldigung" sagen, für einen Moment dazu führt, dass die oder der so um Vergebung gebetene die Situation entspannt, durch ein Wort, eine Geste oder einen Blick, der Zuneigung versichert. Die temporäre Situation ist gemeistert, aber was passiert ist, ist passiert und wird seine Konsequenzen haben. Aber besser sehenden Auges und mit Blick auf das Gegenüber, als mit Händen verdeckt und in sich gekehrt.
Manchmal möchte man etwas verstecken. Ein Geschenk, dass der/die zu Beschenkende nicht vor dem Überraschungstag erblicken soll. Ein Gefühl in einem Satz, der stilvoll und originell klingen soll. Ein vorantreibendes Handeln in einer scheinbar zufälligen Geste.
Manchmal denkt man, das etwas versteckt ist, obwohl da gar nichts ist. Man nimmt in Gesprächen unter Freunden war, dass es um eine Überraschung ginge, denn man hat ja bald Geburtstag. In Wirklichkeit ging es aber um etwas, dass man einfach nicht wissen sollte. Man sucht in einer Äußerung nach versteckten Deutungen auf eine verheißungsvolle Sache. Und realisiert später, dass es weder Verheißungen, noch Beteuerungen, sondern schlicht ausweichende, aus der Affäre ziehende Antworten waren. Manchmal sieht man in einer mit dem Fuß umgestoßenen Apfelsaftflasche, dass sich jemand aus der Affäre ziehen will. Dabei ist man manchmal einfach ungeschickt. Dann passiert etwas Blödes und man möchte sich verstecken und dreimal "Entschuldigung" sagen und wünschte, es wäre nie passiert.

10. Juli 2010

Der Tag des Findens.

... meines I-Pod-Kabels
... meines Vorverstärkers
... meiner Prokrastination.
Das Aufräumen ist noch nicht vorbei.

Schlaflos

Von zu wenig Schlaf kann man Bluthochdruck bekommen. Zu wenig Schlaf macht unkonzentriert und lethargisch. Er macht Kopfschmerzen. Aber manchmal macht er auch ein bisschen glücklich.
Würde ich diese Sommertage beschreiben, so würde ich sie schlaflos nennen. Es ist zu heiß, um länger als 5 Stunden zu schlafen. Es passiert zu viel, um sein Leben mit Schlaf zu verschwenden. und doch ersehne ich mir eine Ruhe, die meinen Gedanken einmal Einhalt gebietet.
Immer an der Grenze zwischen Traum und Wachheit, zwischen Faulheit und Rastlosigkeit. Es ist so heiß, dass ich nicht schlafen kann, es ist zu heiß, um unglücklich zu sein. So treibt man dahin und liegt herum und denkt und hat zu tun und dann ist der,durch den Schlafmangel bedingt, ganz lange Tag viel zu schnell vorbei, weil das Nichtstun einen derart beschäftigt. Ein lang gedehntes Nichtstun ist eine größere Anstrengung und verbraucht mehr Zeit und Kraft als ein temporärer Stress.
Was ist der Sommer in Berlin nur für eine Jahreszeit? In meinen Sommern auf dem Dorf hatte ich stets so viel Zeit und keine Orte, sie zu nutzen. Hier habe ich Orte und keine Zeit. Und niemand scheint sie zu haben. Bin ich denn wirklich der einzige Mensch, der im Sommer nicht unglücklich, doch melancholisch wird, weil mir die Vergänglichkeit immer dann so bewusst wird? Bin ich denn wirklich der einzige Mensch, der am liebsten überall alles stehen und liegen lassen könnte, um zu leben?

9. Juli 2010

Das schöne Leben.

Guten Tag. Mein Name ist Bookish as Earl Grey und vor allem Nachtmar. Einige von Ihnen kennen mich bereits unter letzterem Namen von virb.com. Mein Zuhause dort ist weg. Die Miete wurde mir zu teuer.
Jetzt bin ich hierhin umgezogen.
Man hat mich gefragt, ob ich für diesen Umzug meiner Gedanken und dem Herzen der letzten zwei Jahre auch schwere Umzugskartons gebraucht hätte. Ich habe geantwortet: Für manche schon, fast ganze Laster, die zu fahren mich natürlich rasend machten, einige waren aber so leicht, dass sie sich fast von allein trugen.
Für diejenigen, die mich nicht kennen und weil neue Definition nötig ist:
Meine Philosophie bedeutet, durch Erleben und Reflektieren, zu erreichen, dass letztendlich alles gut wird. Ich strebe eine Emanzipation der Herzen an. Für andere und für mich.
Ich versuche stets zu filtern und die Schriftstücke hier sowohl von Tagebucheinträgen als auch journalistischen Beiträgen zu trennen. Die Grenzen sind fließend und ich auch.
Manchmal gebe ich etwas preis, das lieber hätte verborgen bleiben sollen.
Dann freue ich mich aber, es mit dir zu teilen.
Der Titel meines Journals ist einem Gedicht der Autorin entnommen.
Der Untertitel ist eine Zeile der wundervollen Britta.
Denn: Bitter und frei und scheiße und wundervoll ist das Leben.

Alberne Zahlen!

Aus eins mach zwei
Aus zwei mach eins
1+1 = 2
2 -1= 1
2 -2 = 0
Mindestens 1 muss verloren gehen.
So möge doch eher die
Zweisamkeit verderben,
als dass zwei Individuen in einem Bette
sterben.

Wann ist man endlich zu alt dafür?

Meine Oma sagte vor ein paar Jahren zu meinem armen Opa, der in Erinnerung an selige Musikerzeiten, eine Jazzplatte hörte und dabei fröhlich mit seinem neu erstandenen Keyboard rumklimperte: "Du gaukelst dir da was vor."
So spielverderberisch ich das in diesem Moment von ihr fand, ich wünschte mir manchmal, dass meine Oma neben mir steht und mir diesen Satz vorwurfsvoll ins Gesicht plärrt, wenn ich mal wieder dabei bin, viel zu viele gegorene Flüssigkeiten in mich hineinzuschütten, die mich nicht zu sehr mehr durchwuseln, aber die mein Magen einfach nicht verträgt und die Konsequenzen tragen muss, der Arme. Da tut er mir so gute Dienste als Seelenindikator und dann qüale ich ihn damit, mir nicht nur sagen zu müssen, wann was für mein Herz gut ist oder nicht, sondern auch damit, mir sagen zu müssen, was für meine Leber gut ist oder nicht.
Eine Bekannte von mir hat nicht so eine Oma, wohl aber so eine Mutter, die ihr nach dem Bericht einer Vietnamreise verschwörerisch riet: "Kind, du bist zu alt, um auf dem Boden zu schlafen!" (Das Kind ist 27 Jahre alt.)
Ich bewundere ja Leute, die wirklich nicht erwachsen werden wollen, Leute, die studiVZ-Gruppen gründen wie "Erwachsen werden? Ich mach ja viel Scheiß mit, aber den nicht!" Die die Verzweiflung nicht kennen, tatsächlich vor den Spießern auf der Flucht zu sein, aber trotzdem wachsen zu wollen und nicht die selben Fehler immer wieder zu tun. Die Dummheit muss doch aufhören!
Und darum stelle ich Fragen, die nach einer konkreten Antwort schreien!
Wann ist man endlich zu alt dafür, zu viel zu trinken? Wann ist man endlich zu alt dafür, zu rauchen? Wann ist man endlich zu alt dafür, Gefühlszuständen nachzuhängen, anstatt sich auf seine Karriere zu konzentrieren? Wann ist man zu alt für nicht enden-wollende Lachanfälle? Wann schafft man es endlich, mit Würde hohe Schuhe zu tragen? Wann schafft man es endlich, mit Anstand, sein Beileid zu bezeugen?
Wann ist man endlich zu alt dafür, jung zu sein?

Es ist nur manchmal ärgerlich, dass ich so müde bin.

Meine Füße bluten. Ich habe einen Schmerz im Knie. Ich glaub, ich kann gar nicht tanzen. Ich glaube, ich habe ein Dekadenzproblem. Ich bin konservativer als ich denke. Ich glaube immer noch, dass bald meine Weisheitszähne kommen. Alkoholpausen kann man später immer noch machen. Dringlichkeit besteht immer.
Monkey, Monkey, Underpants.
Warum bluten meine Füße?
Weil meine Füße glauben, ich bin ein Turnschuhmädchen. Und zwar eins für richtig klobige, breite Dinger zur gemütlichen, ausgewaschenen Jeans. Aber ich weiß nun mal, dass ich ab und zu, ohne mich selbst zu verleugnen, eine Frau sein kann, die zur laufmaschigen Strumpfhose rote Lederpumps aus zweiter Hand und den 80ern trägt. Pssst, weiß ich ja gar nicht. Füße, ihr habt mal wieder recht und jetzt müsst ihr es auch noch ausbaden, dieses Dilemma des postmodernen Frauenbildes. Tut mir leid, hm.
Warum habe ich einen Schmerz im Knie?
Weil ich mich drei Tage nacheinander lauter Musik und Menschen und (nicht nur) durch Nostalgie ausgelöstem Tanzwahn ausgesetzt habe. Ja, es war rührend, ja, es war beschissen, ja, es war langweilig, ja, es war großartig, ja, es ging mir vom Herzen am Arsch vorbei.
Dem Arsch, der vom Minirock über die Heißhosen in die ausgewaschene Jeans durfte, in der er jetzt dankbar ruht. Genau dem, Baby.
Warum hab ich das getan? Weil mir die Menschen und die Musik wichtig waren und es gab weiß gott schon schlimmere Gründe.
Warum glaub ich, ich kann gar nicht tanzen?
Weil ich heute Theaterprobe hatte und als "Rosetta" in Büchners (jetzt hätte ich beinahe Woyzecks geschrieben) "Leoce und Lena" nun mal tanzen muss, obwohl ich gar nicht will. Und Mary hat laut gelacht. Und ich kann ja gar nicht tanzen. Buhu.
Warum glaube ich, ich habe ein Dekadenzproblem?
Na, wer kauft denn mit nem Schrank voller Lebensmittel zwei Spinattaschen undn Couscoussalat und nen Kaffee und ne Clubmate und n Kirschbier und n vegetarisches Hotdog und ärgert sich, dass er nun keine Schokolade zu Hause hat? Niemand außer der ich, der olle Lederjackengammelrambazambastudent.
Warum bin ich konservativer, als ich denke?
Weil ich einem Freund eine ganz schlimme Meinung bezüglich Familienbildung an den Kopf geworfen habe und mir das nun mal furchtbar leid tut. Und das ist konservativer als ich denke, weil ich mich nun nicht mal traue, zu schreiben, was es denn eigentlich nun war, um mein Selbstbild nicht zu verzerren.
Warum kommen meine Weisheitszähne bald?
Weil ich weise werde. Wie billig. Nein, weil mein Kiefer immer noch gruselig drückt. Bald sehe ich aus wie ein Ochsenfrosch, ich bin sicher. Naja, öfter mal was Neues.
Warum kann man eine Alkoholpause machen, wenn man alt ist?
Weil ich dann hoffentlich einem Kirschbier widerstehen kann, an einem verkaterten Tag. Heute kann ich es nicht. Simple Verschiebung.
Warum besteht immer Dringlichkeit?
Weil Tocotronic das sagten. Vor allem aber, weil wir das fühlen. Was wir tun wollen, das tun wir und das muss getan werden. Fertig. Und wenn jemand sagt, das sei eine gefährliche Aussage, dann hat der jemand völlig Recht.
Warum Monkey, Monkey, Underpants?
Weil mein Hirn ein zuweilen ähnlich wildes Wesen zu sein scheint, wie das der Loreley Gilmore. Diese hatte mal vor, etwas offizielles zu schreiben, fand keinen Anfang und übte sich daher an einer Assoziationskette, die mit diesen denkwürdigen drei Worten endete. Eine der besten "Gilmore Girls"szenen.
Naja, als ich in den Spiegel geguckt hab, hab ich gesehen, dass mein Gesicht die Farbe von Cashew-Kernen hat. Warum hat mein Gesicht die Farbe von Cashew-Kernen? Anscheinend habe ich es ab und zu mal in die Sonne gehalten, in letzter Zeit.
http://www.youtube.com/watch?v=7aus27_c0DI&NR=1

Das postmoderne Experiment, diesmal nicht kühlsoziologisch.

Das ist ein Experiment,
nicht im Labor. Nicht im Feld.
Nicht einmal Lineal und Zeichenbrett
brauch ich dazu.
Was ist mein Gegenstand?
Nichtich bin das. Das bist nicht.
Du-
und wenn jemand fragt, warum ich Soziologie.
Studiere, dann hab ich.
Stets in flagranti. Die Antwort parat.
Dass ich die Gesellschaft schon immer spannend fand.

Dekonstruktion, Konstruktion, Desinteresse, Kommunikation.
Ich baue mir Brücken über den Fluss aus weißen Kitteln,
oder weißen oder schwarzen Anzügen,
die von ganz weit oben,
ganz tief runter,
auf den Ameisenhaufen gucken,
den sie die Gesellschaft nennen.

Das ist mein Experiment,
das ist immer. Noch im Kopf.
Ich wollte mich befreien, sieh-
du die Bilder.
Ich die Worte hier?
Nichtich bin das. Du bist nicht.
Das-
und wenn jemand fragt, warum ich immer.
Noch, an die Liebe.
glauben kann dann. verweise ich auf.


Morrissey und singe:
"And though I walk home alone//
I might walk home alone//
But my faith in love is still devout."

Müde Augen.

Das S-Bahnfenster- mein Spiegel.
Meine müden Augen- Hintergrund für Reflektion der Stadt.
Vordergrund für Reflektion der Stadt.
Die große Fabrik, die vielen Lichter,
der Tiergarten, klar,
hinter meinen Augen scheinst immer noch du, Berlin.

Ich merke erst jetzt,
man kann sich sehen und durch sich hindurch.
Man kann das Graue sehen und doch sich selbst.
Und auch sich selbst.
Und nicht nur sich selbst.
Und klar, sich selbst.

Auf drei Töppen.

Wir fahren raus, wir fahren raus.
Aus der Stadt.
Auf drei Töppen, denn der Fordi kann nich mehr.
Ein Schornstein qualmt, ein Maulesel wird an der Leine geführt.
Hunde bellen, Katzen glotzen, Kühe stinken, so wie du und ich.
Dieses Dorf sei animalisch, sagste
weißt du
Du hast Angst.
Sieh, die verlassene Gartenschaukel, sieh, das bunte Holz blatzt am Herz.

Setz dich hin, setz dich hin.
Auf die Picknickbänke hinterm Dorfteich.
Ruh dich aus, mit deinem Kopf voller Pläne und dem Herzen im Staub.
Deine Stimme tönt, meine Stimme tönt,
es ist still hier, es ist laut hier, Leute schwatzen, so wie du und ich.
Dieses Dorf ist wie meine Heimat, sag ich
weißte
Ich vermiss die Stille.
Sieh, den Wald da, sieh, auf dem Dach wächst schon Moos über die Sache.

Ich seh aus dem Fenster, weil ich die Strecke noch nie gefahren bin.

"Die Matten liegen auf dem Hof." Ich renne die Treppen hinunter, meine Lederjacke kracht dabei ein wenig. Ich trete hinaus in die Luft des Sonntagvormittags. Sie schmeckt genauso, wie ich es mir vorgestellt habe: Nach Regen, nach nassem Stadtgras, herrlich nach Abgas, nach dem Beton der umgebenden Häuserblöcke, nach einem Spiel in den Büschen, danach, einen Stadtigel zu finden, sich an ihm zu stechen und noch jahrelang Angst vor Tollwut zu haben. Das Licht blendet mich ausnahmsweise nicht, ich blicke mich um und ich kann ungestört sehen. Ich sehe die Badmatten, die von der Brüstung des Laubengangs auf den Hof gefallen sind, rot und schwarz aus dem graugrünen Gras hervorstechen, schnappe sie mir, renne die Treppen hinauf und lege sie auf den Boden des Badezimmers. Einen Moment blicke ich mich da um und frage mich,wie es auf einen Fremden wirken muss. Das Badezimmer ist ein so privater Raum, hier steht nur, was hier stehen muss, damit man sich hier in seiner Nacktheit verlieren kann. Der private, einsame,bloße Moment,in dem man sich in seinem eigenen Dunstkreis und dem der feuchten, verbrauchten, nebligen Luft der Kammer suhlt, soll nicht zerstört werden, in dem man Dinge aus anderen Zimmern holt. Ich stehe angezogen im gut durchlüfteten Raum, ich sehe mir seine Gegenstände an und ich bin der Fremde. Aber ich weiß nicht, was ich halten soll, von der Mixtur aus Pflegeprodukten zweier unterschiedlicher Mädchen. Duschgels mit kitschigen Namen, Zahnpasten in Tuben und Fläschchen und Schwämme und Kokoskram. Ich gehe in mein Zimmer, sehe die pinken Tulpen in der lilafarbenen Gießkanne, den verregneten, so uneuphorisch schönen, echten Morgen, schmecke Hagbutten-Hibiskustee mit Himbeeraroma und bin angekommen, wieder zu Hause, in einer Kindheit aus graugrünem Stadtgras, graubraunen Pfützen, billigen Gummistiefeln und Beton.

Und Veronika beschließt zu sterben.

Bevor Sie den nachfolgenden Text lesen, meine Damen und Herren möchte ich, dass Sie dabei immer im Kopf behalten, dass Montag ist, und zwar ein Montag im Januar. Dass ich heute noch keine Zigarette hatte. Unter einem durch Blockseminar fehlendem Wochenende und Schlafmangel leide. Und dass ich nach wie vor finde, dass "Veronika beschließt zu sterben" ein sehr schönes Buch ist.
Komisch, so ein Montag, an dem man auf Paulo Coelho und die "Declaration of Human Rights" trifft. Und das in einer Filliale einer Ladenkette für hippe Großstadtfrauen zwischen 18 und 38, denen H&M irgendwie zu piefig und fairliebt zu teuer ist. Es war der Ärger über Unzulänglichkeiten, ein schlechtes Gewissen und Inkompetenz- übrigens alles von fremder und meiner Seite her- der mich durch die Straßen in der Nähe des Bahnhofs Zoo streifen ließ. Auf der Suche nach erlösendem und entspannendem Kaffee. Und tatsächlich lockten mich dabei ein paar alberne, reduzierte Kleider in verschiedenen Farben in den mango-shop. Die Kleider finde ich erst gar nicht, denn in durch Unzufriedenheit des Körpers und der Seele motiviertem Wahn habe ich schnell 5 T-Shirts überm Arm hängen. Auf dem Weg zu den im oberen Stockwerk gelegenen Umkleidekabinen entdecke ich Paulo Coelhos Fratze. Ja, der Paulo Coelho, der pseudospirituelle Bestsellerautor, den ich mit 15 glühend verehrte, inzwischen aber für einen allzu kitschigen Aphorismendichter halte, der auch vor allem das genau kann: 15- jährigen Mädchen durch eine Mystik irgendwo zwischen in oberfränkischen Kleinstädten aktiver christlicher Jugendfreikirche und Brigitte-Wellness Glauben machen, denken und fühlen gelernt zu haben. Das dies eine reine Illusion ist, werden sie wohl erst mit Anfang 20 schmerzhaft fest stellen. Das Konterfei, das genau auf diesem Foto in sämtlichen Schutzumschlägen seiner Bücher zu finden war, lächelt hier im Laden zwischen englischen Aphorismen über Verantwortung und Menschenrechte vor dem Hintergrund einer wolkigen Scientology-Ästhetik. Auf einem der reduzierten T-Shirts steht die "Declaration of Human Rights" auf anarchisch geklecksten Fakefarbspritzern gedruckt. Ich schleiche mich verstört in die Kabine. Hier stelle ich fest, dass das Licht derart beschaffen ist, dass mein Gegenüber im Spiegel auf seinem Haar äußerst uncharmant alle Färbe- und damit auch Seelenversuche des letzten Jahres abbildet. Das vertraut-versöhnliche Mokkabraun des vergangenen Frühlings lässt einen alptraumhaften Mahagonischimmer übrig, während daneben Reste des hoffnungsvoll-melancholisch-hoffnungslosen Lilas des Septembers das nachwachsende Naturhaar aschgrau erscheinen lassen. Es machte mich ebenso überschwänglich mit Hautunreinheiten bekannt, von deren Existenz ich bis jetzt nicht die leiseste Ahnung hatte. Nicht mehr wütend, aber traurig, humple ich im Bewusstsein, gestreift und gepunktet zu sein, aus der Kabine. "Kommt was zurück bei dir?" fragt mich das Kabinenmädchen so freudenstrahlend, als wäre ich ein Rassehündchen, dem sie gerade einen Preis auf einer Zuchtausstellung überreichen darf. Als ich stammle: "Ja, alles.", meine ich es auch so. Denn ich würde gern komplett alles zurückgeben in dieser absurden Welt aus rosa Mangofashion, Paulo Coelho und der "Declaration of Human Rights", inklusive Herz, der manipulativen Pottsau und Magen, dem unheilvollen Seelenindikator. Leider nimmt mir die gute nur die behangenen Kleiderbügel ab, als ich ihr noch mein Herz in der angewidert am langen Arm ausgestreckten Hand dazu reichen möchte, hat sie sich schon abgewandt und es ist mir unangenehm, zu fragen, ob sie es nun denn nicht auch nehmen und auf einen Kleiderbügel spießen möchte, auf dass es hier, zwischen fashionabler Weltverbesserei und Poesie, seinen Platz findet. Deshalb packe ich das Herz in die hintere Hosentasche, so wie alte Säcke ihre Geldbeutel da reinstopfen.
Immer noch karoblusenärmelig stelle ich 10 Minuten später fest, dass das Geld in Kaffees und Donuts tatsächlich weitaus besser investiert war. Das Herz drückt mir unangenehm warm und sinnlos in den Hintern.
Nougat-Vanille-Creme-Donut- Hautunreinheiten, ihr lieben, herzlich willkommen, freundet euch lieber mit mir an, wir werden ein langes Leben voller ästhetischer und politischer Unschönheiten zusammen gestalten. Komisch, so ein Montag, in dem man auf Paulo Coelho und die "Declaration auf Human Rights" trifft.

Offene Bücher gegen und für die Gleichgültigkeit. Jahresrückblick 2009

Mir scheint, heute hat keiner mehr ein Tagebuch. Und bei mir ist das auch wirklich so. Also doch, ich habe sogar nicht nur eins, sondern viele, doch schreib ich da nix rein. Ich teile meistens meiner Umwelt direkt mit, was ich fühle. So naiv das auch sein mag. Und ich wollte zunächst aus diesen Gründen hier einen ganz persönlichen Jahresrückblick geben, ein offenes Buch für und gegen die Gleichgültigkeit, denn wem ich gleichgültig bin, dem bin ich es dann um so mehr, vorrausgesetzt, es gäbe eine Steigerung für Gleichgültigkeit, und wem ich es nicht ganz bin, dem bin ich es dann vielleicht noch ein bisschen weniger. Naja, aber im großen und ganzen ist das wohl auch einfach eine langweilige Sache, wenn man von jemandem immer wieder hört, wie sehr er davon erschüttert ist, wieviel in nur einem Jahr passieren kann, wie Menschen kommen und gehen und da sind und fern sind und nicht da sind und nah sind.

du bist ganz weit weg
und mir doch näher als je zuvor
als du nah warst
als du gewohnheit warst
ein inventar fast.

in meinem neuen inventar ist für jemanden wie dich kein platz.
und doch, in meinem herz
aufeinmal schon.
da hast du vorher nicht reingepasst.


du bist ganz nah
und so verdammt fern.
wenn ich mich umdrehe
und zur tür gehe
siehst du mir nach.
ich bleibe stehen
und gehe nicht
und du gehst.


du bist ganz fern
im raum und im herzen
bei dir ist alles klar

und es ist wahrscheinlich ebenfalls langweilig zu hören, wie es einem pervers ins herz sticht, dass man sich über seelische schmerzen freut, weil man mit seinem kalten, abgestumpften herzen glaubte, man sei des verletzt werdens nicht fähig und nicht würdig.
Also hab ich mich entschlossen, keinen persönlichen Blog zu schreiben, sondern einen ganz sachlichen Jahresrückblick zu geben.

Abenteuer des Jahres: Leben. Verdammt, das heißt ja in echt fühlen und denken und so.
Bezirk des Jahres: Neukölln
Baustelle des Jahres: Auf der Kaiserin Augusta Allee wurde endlich n Fußgängerüberweg und n Zebrastreifen gebaut, juhu!
Chance des Jahres: Erwachsen werden.
Diät des Jahres: Mensaessen.
Ernte des Jahres: 1.3 bei Pistiak
Film des Jahres: Persepolis.
Frisur des Jahres: Ungewollte kurze Wellen im April.
Festival des Jahres: Jenseits von Millionen.
Genie des Jahres: Dr. Peter Richter
Hit des Jahres: Little Fish/Maiko Miske
Illness des Jahres: Schweinegrippe
Ja des Jahres: Ja! Milch, verkleidet als heiße Milch mit Honig
Klunker des Jahres: türkis-rose-knochenfarbene Perlenkette vom Boxi
Konzert des Jahres: Miss Li im Lido, Berlin
Kleid des Jahres: Das schwarz-rote aus Amsterdam.
Lohn des Jahres: Ein Stück lebendiger sein.
Location des Jahres: Schaubühne, Charlottenburg.
Mixtape des Jahres: Maikos "I cry//Glitter is Love."
Norman Palm Konzert des Jahres: In der Schaubühne im Oktober.
Obst des Jahres: Feigen.
Platte des Jahres: Phantom/Ghost/Thrown out of Drama School
Quiche des Jahres: Zuchini-Champignon-Möhren-Quiche
Rock des Jahres: Der lila Wildledermini. Meine Mama sagte, ich soll ihn, billig wie er ist, kaufen, einen Sommer lang tragen und dann wegschmeißen. Jetzt hat er mich bis in den Winter begleitet und wir haben soviel zusammen erlebt, dass ich ihn bestimmt nicht so schnell wegschmeißen werde.
Song des Jahres: Canopies and Grapes/Emmy the Great.
Theater des Jahres: Wainwright vertonte Sonnets
Urlaub des Jahres: Ostsee: Kurz, aber gut!
Verwandlung des Jahres: Me, Gefühlsarschloch in Emotussi. Heute hab ich bei Halleluja geweint.
X des Jahres: Was werd ich, wenn ich groß bin? Popliteratin oder die Frau, die in die U-Bahn pullert?
You des Jahres: You and you and you.
Zerstreuung des Jahres: Fahrrad fahren.
Nachträglich frohe Weihnachten und nen guten Rutsch!

Wie das manchmal so ist.

Wie das manchmal so ist. Wenn man mit zwei alten Bekannten und/oder Freundinnen redet. Und sich dabei gut fühlt. Weil man sagt, was man grade macht. Und dann fest stellt, was man eigentlich grade macht. Und das gar nicht so übel ist. Wenn man Sehnsucht nach der Ferne hat. Und nach Idee. Wenn einem dann alle Möglichkeiten, dieser nachzukommen, so banal erscheinen. Auslandssemester. Auslandspraktikum. Wenn man Massagebutter benutzt. Und sich in Musik verliert, obwohl man eigentlich lernen sollte. Wenn man etwas Buntes möchte und dann doch schwarz-weiß trägt.
Auf den Straßen sieht man das Krisenoutfit: Ally McBeal hat mal gesagt, die Rocklänge steigt proportional zur Gefühlssituation. Irgendwo hab ich mal gelesen, die Rocklänge steigt proportional zum Wirtschaftswachstum. Und ich finde, dass beides stimmt, lächle bitter, trage meinen lila Wildledermini, sehe mich um und stelle fest, dass ich nicht die einzige bin.

Großstadtlächeln

Wie abgeschmackt: Heute haben mich vor allem drei Dinge glücklich gemacht.
1. Dass ich tatsächlich in der FU Stephanie Grimms "Die Repräsentation von Männlichkeit im Punk und Rap" endlich fand. Nachdem es in der TU trotz meiner Vormerkung partout nicht abgegeben wurde. "Wenn ich den Schlingel erwische! Zu dem komme ich nach Hause, brech in sein Klo ein und zerr ihm das Ding vom haarigen Schoße!", wetterte ich bei jeder Gelegenheit los, wohlwissend, wie oft ich selbst schon Bücher zwei Wochen zu spät abgegeben habe. Aber ich brauchte dieses Buch so dringend für meine Hausarbeit! Und nun habe ich es doch noch drei Tage vorm Abgabetermin bekommen. Nach einer Odysee in die FU, bei der ich mich zunächst gleich mal in der BIbliothek für Rechtswissenschaften angemeldet habe. Dann eine U-Bahnstation zurück und mit einem komischen Bus noch in die Pampa fahren, um das Ding bei den Theaterwissenschaften (?) auszuleihen. Leute, ich bin so froh, in Potsdam zu studieren! Dass hab ich heute zum ersten Mal gedacht, als ich gleich im Anschluss an die FU noch für ein weiteres wichtiges Buch an meinen Heimcampus, das neue Palais, gefahren bin. Endlich wieder verpeilte Menschen mit Kaffeebechern in Parkidylle statt hochgestylten Elitetussis auf einem viel zu chaotischen Campus in einer versnobten Villengegend. Das ist jedenfalls mein oberflächlicher Eindruck, den ich mir vielleicht auch nur zur Verschmerzung des langen Fahrtweges einrede.
2. Das Großstadtlächeln! Wo war es die ganze Zeit? Dieser herrliche Moment, wenn man eine fremde Person anguckt, sich sympathisch findet und ganz ehrlich die Gesichtsmuskeln von Mund- zu Augenwinkel hochzieht. Heute ist er mir gleich zweimal passiert. Bei der netten BIbliothekarin im hübschen Institut für Theaterwissenschaften der FU, die eine ähnlich verpeilt und sozial überforderte Person wie meine Wenigkeit darzustellen schien. Und dann, ein paar Häuser weiter, von meinem zuhause bei dem netten, sympathisch in Streifenbluse, ausgewaschener Jeans, Chucks und auf dem Fahrrad daherkommendem Mädchen, das ich in meiner Nachbarschaft noch nie gesehen hatte. Großstadtlächeln lassen mich an das Gute im Menschen glauben. So einfach geht das.
3. Das Album "Freischwimmer" von Echt, das ich mir mehr aus Jux und Tollerei mal wieder auf meinen MP3-Player machte. Das ist die erste Musik in meinem Leben, bei der mich echte Nostalgie ergreift. Was war das doch für eine schöne Jugendkapelle. Wie tragisch und euphorisch zugleich ist doch "Du trägst keine Liebe in dir" und wie bitter kriegt einen der Zahn der Zeit, bei einer Zukunftsvision namens "2010". Vor allem bei Reimen wie "Du denkst ich kriege nichts gebacken
Und darum pflanzt Du deine Zukunftsangst in meinen Nacken" oder "Du weißt noch nicht wohin, mit deiner Kreativität
Dann gehe doch zum
Arbeitsamt und oute Dich als Künstler
Sie gaben mir eine Stelle als Frisör in Neumünster."
Hach. Und nicht zuletzt: Dass ich heute auf eine Lesung von Judith Hermann gehe. Juchhu! Und dass September ist.

Die Sache meines Lebens.

Dreimal lernte ich die Sache meines Lebens kennen. Von drei grundverschiedenen Menschen wurde
sie mir vorgestellt. Mit drei verschiedenen Namen. An drei verschiedenen Orten. Und ist doch
immer die selbe gewesen. Die Sache meines Lebens. Durch die ich existiere.
Die Erinnerung an das erste Mal ist sehr verschwommen und doch als ein tiefes Gefühl in mir
vorhanden, lebendig, echt, auf keinen Fall ein Trugbild.
Ich bin etwa fünf Jahre alt und meine Mutter holt mich vom Kindergarten ab. Ich weiß, dass wir an
diesem Tag einen Ausflug unternommen haben. Wohin, das ist mir leider entfallen. Es war
irgendwas mit Bienen, denke ich. Meine Mutter unterhält sich noch kurz mit der Kindergärtnerin.
Entschuldigt sich, glaub ich, dafür, dass sie erst so spät kommt.
Ich bin mit den Gedanken ganz woanders, schon zu Haus in meinem Zimmer, „Geschäfte machen“
spielen. Dabei nehme ich mir immer zwei Schulhefte aus dem Schrank und blättere sie durch, tue
so, als würde ich lesen. Nehme mir einen Stift und kritzele etwas hinein, etwas, von dem ich hoffe,
dass es Sinn ergibt, doch ich kann es nur hoffen, der Stift macht sich frei von meinen befehlenden,
fordernden Gedanken. Es ist ein wirklich schönes Spiel. Ich spiele es auch heute noch oft.
Allerdings nenne ich es heute „etwas für die Uni machen“.
Da sagt die Kindergärtnerin zwei Sätze. Zwei Sätze und das neue Wort, sie dringen durch meine
Vorfreude, meinen Tagtraum hindurch: „Ich glaube, sie interessiert sich für Musikk. Sie hat den
ganzen Nachmittag ein Liedchen gepfiffen.“
Ich habe gesummt, ich kann gar nicht pfeifen. Aber das ist nicht wichtig, wichtig ist die Musikk.
Die Sache. Das neue Wort ist kein ganz neues Wort, ich habe es schon sehr oft gehört, eigentlich.
„Schau mal, Schnegge. Da spielen die Musikk.“
„Was ist das für eine Märchenkassette, Mutti?“ „Das ist keine Märchenkassette, das ist Musikk.“
Doch noch nie habe ich sie so auf mich bezogen gehört. Es ist also mein neues Wort.
Ich interessiere mich für Musikk, so so. Aha.
Ich summte von da an immer, wenn ich in Bussen saß und auf Ausflüge fuhr. Heute mache ich das
noch, in abgewandelter Form: Ich höre, immer wenn ich in Bussen sitze, und in Bahnen, Musikk, in
meinem MP3- Player drinne, und summe dabei, gedanklich, aber nur. Ich will niemanden nerven. Ich werde älter, ich ziehe um. Mit meinen Eltern. Nur eine Stunde entfernt, von Chemnitz nach Hof.
Und doch in eine andere Welt. Und da begibt es sich, dass ich 18 bin. Und im Kollegstufenzimmer
sitze. Im altehrwürdigen Jean-Paul-Gymnasium, einem musisch-humanistisch-sprachlichen
Gymnasium. Weil meine Eltern entschieden, dass ich mich für Musikk interessiere. Und eine ganz
Kreative bin. 7 Jahre Unterricht in klassischer Gitarre, ein Kampf der Liebe gegen das Nicht-
Können.
„I never loved nobody fully// Always one foot on the ground// And by protecting my heart truly// I
got lost in the sounds// I hear in my mind all these voices// I hear in my mind, all these words// I
hear in my mind// all this music// And it breaks my heart//.
Regina Spektor singt da ihren Hit „Fidelity“ aus den Boxen eines betagten, von irgendwem
gestifteten CD-Players. Ich spüre, dass die Musikk mich durchdringt, dass sie stärker ist als jedes
andere Gefühl, dass ich ihr gehöre und sie mir gehört. Und meine Freundin seufzt: „Ach,
wenigstens haben wir die Musiek.“ Die Musiek sagt sie, die Musiek! Schlagartig wird mir klar, ja,
da ist sie wieder, die Sache meines Lebens, in einer neuen Gestalt. Der Gestalt der Musiek. Der
Gestalt meiner Freundin. Der Gestalt unseres Lebens, einem sehnsuchtsvollen sich Sehnen nach
einem Ausbruch aus der Provinz mit ihrer kleinstädtischen Enge. Der Soundtrack unseres
Engagements, des Aufbegehrens, der Hoffnung. Alles vereint in ihrer Intonation, der Musiek. Ich
gehe in die Schule und mache mein Abitur, meine Eltern ließen sich scheiden und ich höre Musiek.
Alles ist großartig. Großartige Scheiße.
Das letzte Kennenlernen, das ist ja mal gar nicht so lange her. Es geschah in Berlin-Charlottenburg.
Da, wo ich jetzt auch sitze und schreibe.
Ich betrinke mich mit meiner Mitbewohnerin, das glorreiche Ende zwei-monatiger WG-Suche in
Berlin. Wir feiern meinen Einstand.
„Sollen wir Muhsik hören?“ fragt sie. Meine Mitbewohnerin kommt aus dem Allgäu. In mir beginnt
es zu vibrieren. Ja, ja, ich bin ganz scharf darauf, Muhsik kennenzulernen. Muhsik, vielleicht meine
neue Liebe?
Nach dieser ersten zarten Liebe zu Musikk. Wie unschuldig das war. Girlpower. Tic Tac Toe, Spice
Girls, yeay. Dann die etwas wildere, aber doch eingeengte Liebe zu Musiek. Die mit Travis begann,
sich über Arcade Fire hinweg streckte und nun bei Bodi Bill angelangt ist. Diese Lieben dauern alle
noch an. Sie warten auf ihren dritten Teil. Was dann passiert, das ist mir noch nicht klar. Ich weiß
nur, dass ich dieses Ereignis auf keinen Fall verpassen will. Wenn Musikk, Musiek und Muhsik auf
einander treffen.
Sie wirft ihren CD-Player an. „Ich hab hier nur zwei CDs.“, ergänzt sie schüchtern.
Wir trinken Wein. Wir rauchen auf dem Balkon. Wir bereden allzu Persönliches, dabei kennen wir
uns erst eineinhalb Nachmittage.
Fast hab ich schon nicht mehr an Muhsik gedacht. Da tönt mir Bright Eyes ins Ohr: „This is the
first day of my life// Swear I was born right in the doorway.“
„Du kennst Bright Eyes?“. „Ja, ich hab sie auf dem Southside gesehen, und gehört, dass die so gut
seien.“
Meine neue Mitbewohnerin hat eine Bright Eyes CD und ich also ein Zimmer in Berlin. Und wir
entdecken zusammen die Muhsik von Berlin, in der sich Musikk, Musiek und Muhsik vereinen. Wir
hören Indie-Rock im Magnet am Prenzlauer Berg und 70-er Jahre Rock in der Kaffeekaschemme am
Hackeschen Markt. Und wir tauchen ein in die Muhsik des Minimal-Techno im Scala in Mitte und
der arena in Kreuzberg, der eben für mich nur Muhsik, nicht aber Musikk und Musiek ist.
Ein Semester vergeht. Ein zweites ist dabei, zu vergehen. Und es ist so vieles passiert.
Ich war am Anfang so stolz, so motiviert, in die Uni zu gehen.
Vorlesung, darauf hatte ich mich schon so lange gefreut. V_O_R_L_E_S_U_N_G statt
U_N_T_E_R_R_I_C_H_T. Zuhören, zum Denken angeregt werden, studieren, eben. Pustekuchen.
Wieder nur Hausaufgaben machen. Geprüft werden. Verdammte Bildungsbulimie.
Und dann das Privatleben. Da stirbt wieder einer, der mir nahe steht. Da verlässt mich meine
vierjährige Beziehung, die eben doch nur eine Beziehung war und keine richtige Liebe. Da sagt mir
einer, ich passe nicht in seinen Autorenkreis. Der sagt mir auch noch, Frauen können nur über
Beziehungen schreiben. Da werd ich plötzlich schüchtern und kann niemanden mehr ansprechen
und werd vielleicht für immer einsam sein.
„Life is empty when you are twenty.“
ist der Titel einer studiVZ-Gruppe. Dieses studiVZ. Und all die neuen Bekanntschaften, die eben
doch meist nur Bekanntschaften bleiben, keine Freundschaften werden. All das vegetarische Essen
und all die Kaffees und all die Gespräche über alles und nichts. Und Berlin. Und das Heimkommen,
um 5. Mit meiner U 7. Und es wird das erste Mal hell. Und da sind Schneeflocken und ich laufe
durch den Regen. Und ich werde so nass. Und meine Lieblingsschuhe gehen kaputt. Kleben nicht
mehr zusammen. Sind einfach entzwei. Und wenn ich erkältet bin, kaufe ich mir Obst. Und wenn
ich verliebt bin, dann benutze ich jeden Tag Parfum. Und krieg Kopfschmerzen. Und ich rauche zu
viel. Und mein Zimmer ist so klein und teuer.
Und alles ist ganz großartig.
Und die Musik.
Ja, du, Sache meines Lebens.
Du hast so viele Gesichter.
Dreimal hab ich dich kennen gelernt.
Dreimal hab ich dich geliebt.
Dreimal hast du mich so verdammt glücklich gemacht.
Dreimal hast du mir so verdammt weh getan.
Hast mit mir geweint, gelacht. Mich umarmt und getreten.
Du bist mein Grund, nicht in die Vorlesung zu gehen.
Du lässt jemanden sterben, einfach so, wühlst mich auf und lässt mich weinen. Zeigst mir, dass ich
am Leben bin und Trauerschmerz auch Körperschmerz ist. Du lässt einfach zu, dass jemand mich
verlässt und ich weine. Und meinen Stolz habe. Und verletzt werde. Und verletzend werde.
Du lehrtest mich, zu lachen, als ich den Tanzwettbewerb in der 7. Klasse verdarb und den Hass der
Trainerin auf mich zog.
Du, ja du und Rufus Wainwright, ihr lehrtet mich beim Anblick des Kaffeefahrten- und für mich
Studienortes Sanssouci, zu seufzen. So sexy. Eine mir noch fremde Erotik, streichelt mich: „Who
will be at Sanssouci tonight?“
Ihr wart es auch, die mich nicht aufhören lassen konntet, Tiergarten zu lieben.
„Won't you walk me through the Tiergarten?“
Du und Morrisey, fuck, „you have killed me“ !!!!!!
Und du und Mikrofisch, ihr wollt, dass ich unterm Baum liege und Twee-Pop höre. Auf den Wiesen
des Park Sanssouci, so einladend, säußelt ihr:
„Let's lay down under the tree and listen to twee.“
Belle and Sebastian und du, ihr macht mich rasend vor Fernweh. Ich bin „asleep on an subeam“,
möchte mich aus dem Hörsaal erheben, und sein „somewhere I can feel the grass beneath my feet.“
Du mit deinen tausend Gesichtern, ja, du, nur du bist mein Grund nicht in die Vorlesung zu gehen.
So, wie du auch der Grund warst, nicht in den Kindergarten, nicht in die Schule zu gehen.
Bist du nun also mein Grund, die Uni zu verlassen.
Mich zu exmatrikulieren. Und Germanistik und Soziologie, also die deutsche Sprache und
Gesellschaft, statt in der Uni im Leben zu studieren. In Clubs, in Bars, in Galerien. Zu Hause. Bei
der Lektüre von studienfremden Texten.
Mich zu exmatrikulieren, im Kopf. Mein Grund, nicht in die Vorlesung zu gehen, sondern mir Zeit
zu nehmen, zum Träumen und Verlieben, zum Träumen und Pläne schmieden. Zur Bildung und
Bandenbildung. Du hältst mich von der Vorlesung ab, obwohl ich jeden Tag in jedes Seminar, in
jede Vorlesung gehe. Ich bin da, körperlich.
„I never loved nobody fully// Always one foot on the ground// And by protecting my heart truly// I
got lost in the sounds// I hear in my mind all these voices// I hear in my mind, all these words// I
hear in my mind// all this music// And it breaks my heart//.“

Guten Tag, Achselhaare! Lange nich gesehen, wa?

Tag 1: Nackt und weinend suche ich. „Nackt und weinend“, das ist ein Ausdruck, den ein
männlicher Bekannter neulich brachte, als ich ihm von meinem ersten Bewerbungsgespräch
erzählte. Ich hatte mich an dieser steifen, unnatürlichen Verhaltensweise gestört, die ich auf einem
Barhocker sitzend, in einer kleinen Küche von zwei Medientanten eingezwängt, ertragen musste.
Und er sagte: „Nackt und weinend hättest du kommen müssen.“ Zu diesem Zeitpunkt hätte ich nicht
gedacht, dass ich mich alsbald tatsächlich in diesem Zustand befinden würde.
Nackt und weinend suche ich. Nach dem Mini-Usb-Kabel meines MP3 - Players, weil Bahn fahren
ohne Musik nun mal gar nicht geht und nach, ja, ich gebs zu, meinen Rasierklingen. Von Aldi-Süd.
Aus der Provinz importiert. Und an den Rossmann-Billigrasierer gesteckt. Die Achselhaare sind
fällig. Seit ich 13 bin, müssen die weg. Warum, weeß ick nich. Ich finde beides nich.
Ich zieh mich an. Unmotiviert.
Tag 2: Versucht, mich über den oben genannten männlichen Bekannten hinweg zu trinken. Hat nicht
so gut geklappt. Musste vorher nach Hause. Später nackt ins Bett, aber nicht weinend. Guck, guck,
Achselhaare. Nachts SMS schreiben. Verdammt.
Tag 3: Immer noch keine Spur von den Klingen. Soll ich Einwegdinger kaufen? Nö, oder.
Irgendwann find ich die schon noch. Nach den Prüfungen, nach den Hausarbeiten. Bis dahin,
wunderbarer Zettelteppich auf dem Boden und Geschirr im Regal.
And so on and so on...
Vier Wochen später. In Hamburg gewesen. Stets gut ausgesehen. Der Sommer schlägt sich endlich
mal im Minimum meiner Kleider nieder. Und mal wieder richtig angucken, Mädel. Arme hoch und:
„Guten Tag, Achselhaare! Lange nich gesehen, wa?“ Klingen nicht gefunden. Über Mann nich so
richtig hineweggekommen. Aber glücklich gewesen. Und ganz großartig sehe ich aus, mit
Achselhaaren. Versteh ich nich, warum die mit 13 immer weggeschickt habe. Wenigstens ein
Kurzbesuch wär doch mal schön gewesen. Bleibt doch noch ein bisschen.

Ich war "Jenseits von Millionen" und es war schön.

Ich war „jenseits von millionen“ und es war schön.

Festival der Mamallapuram-Macher geht mit neuem Namen in die erste Runde
Ich war „jenseits von millionen“ und es war schön. Schrieb ein Freund von mir am Tag nach dem
gleichnamigen Festival in seinen Facebookstatus und ich finde, so schlicht und berührend könnte
man das fast stehen lassen. Würde ich auch gern tun, wären nicht viel zu viele Menschen noch viel
zu uninformiert über dieses kleine, aber doch sehr feine Festival, dass unter diesem Namen in
diesem Jahr zum ersten Mal stattfand.
Da war einmal das Mamallapuram, ein Festival, das explizit für den Zweck gegründet wurde, einem
Waisenhaus im indischen Ort „Mamallapuram“ den Erlös zukommen zu lassen. Seit dem letzten
Jahr werden die Spenden allerdings für Projekte des Kinderhilfswerks terre des hommes verwendet
und somit musste ein neuer Name her. Jenseits von Millionen. Das Konzept dahinter bleib
allerdings gleich: Wunderbare Bands aufzuspüren, deren Musik ein breites Spektrum umfasst, die
jedoch immer Musik für das Leben und die Liebe machen und nicht für eine fette Gage oder um ein
Stadion jubeln zu lassen. Einen Ort damit beschallen, der eine Idylle inmitten von Feldern und
Seen, einer Eisdiele, einer Bäckerei und einem Supermarkt bildet: Die Burg Friedland in der
brandenburgischen Niderlausitz, von Berlin aus gut zu erreichen und somit auch ein kultureller
Kurzurlaub für Großstadtkinder. Sich selbst und den Festivalbesuchern das Gefühl geben, nicht nur
etwas für die Ohren zu tun, sondern auch die Welt ein klein wenig zu verbessern. Und das alles mit
einem liebevollen Bastlercharme, der sich sowohl in der Bewerbung als auch in der Dekoration des
Festivals niederschlägt. In diesem Jahr stand das Design ganz unter dem Motto von fantasievollen
Geschöpfen wie Kätzchen mit Flügeln und Hunden mit pinken Kopfhörern.
Und wie sah mein Festivalerlebnis am 7. und 8. August in Friedland aus? Ich lausche am
Freitagnachmittag, gerade das Zelt aufgestellt habend, der tollen Anna Rikje Rosenthal, die
wunderbar harmonische Großstadtlagerfeuerlieder ganz allein mit ihrer Gitarre vorträgt und
angenehme graue Melancholiehauche in den 30 Grad warmen August pustet. Ich höre mit Ohren
und Beinen am frühen Abend den geistvollen Texten und hüpfenden Melodien von Knut und die
herbe Frau. Ich tanze sehr viel später ausgelassen zu Ampl:tude, dem humorvollsten, das mir in der
Elektroszene bisher begegnet ist und dabei gleichzeitig von einer atmospärischen Schönheit, die der
Versunkenheit sehr dienlich ist. Ich falle glücklich in den Schlafsack. Am nächsten Morgen nehmen
die netten Essensstandbetreuer meine Freunde und mich mit zum See. Die Sonne brennt
beklemmend angenehm auf der Haut, das Wasser macht nass und stark für die nächsten musikalischen Hochgenüsse. Garda spielen sich mit liebevollem Barock-Pop und sympathisch
sächselnd direkt in mein Herz. Beat! Beat! Beat! beeindrucken trotz ihrer geradezu blutigen Jugend
mit strokesesquem Garagenrock. Jeniferever aus Schweden runden den Abend grungig und ein
wenig gruselig ab. Abrunden? Halt! Vorher schlagen einem Frittenbude noch leicht hip-hoppig, viel
elektrisch, immer hart an der Grenze zum allzu prolligen in die Fresse, so dass man kopfüber in die
After-Show geschubst wird, wo man amüsant im Dorfgasthaus zu den Klängen des sonst im
Berliner Indie-Club Rosi's anzutreffendem Whatever! Dj-Team bis in die Morgenstunden abtanzt.
All das wollte ich gern sagen, damit noch ein paar mehr Menschen nächstes Jahr für das Zirpen der
Grillen, das Betrachten des Sternenhimmels, das Baden im See, ganz viel Musik, Ingwer-
Karottensuppe und den guten Zweck nach Friedland in die brandenburgische Provinz reisen.
Aber letztendlich sind die Worte meines Kommilitonen doch die einzig wahren, um diese
wundervollen Momente einzufangen:
„Ich war jenseits von millionen und es war schön.“

Bloggen ums Überleben.

Es folgt, meine Damen und Herren, meine Karriere als Bloggerin. Denn: Am letzten schicksalshaften Samstagabend beschloss ich, wieder regelmäßig zu schreiben. Und die simpelste Übungsmethode ist der Blog. Dachte ich mir grade. Eigentlich sollte ich an einer eigentlich auch gar nicht so uninteressanten Soziologie Hausarbeit zum Thema "Die Repräsentation von Männlichkeit im Punkrock am Beispiel Turbonegro" schreiben, aber ich entschuldige mich damit, dass ich heute schon den ganzen Tag in der TU verbracht habe und mir auch schlicht und einfach noch Literatur fehlt. Die TU-Bibliothek kann ich jedem nur empfehlen. Ich empfinde sie als einen ganz wundervollen Ort, in ihm habe ich mein Utopia gefunden: Einen Ort, an dem alle still sind, der Großteil schaut hübsch und intelligent drein und vor allem, es gibt BÜCHER. Wenn jemals jemand bibliophil genannt werden durfte, dann bin das ja wohl ich. Wenn Bücher sich in einem Raum mit mir befinden, bin ich erregt. Die Menge der Bücher steigert die Erregung. Nur diesem Zustand nach ist es zu erklären, dass ich lesende Männer automatisch sexy finde.
Ich fahre stets mit dem Fahrrad zur TU. In mein Fahrrad bin ich seit neuestem verliebt. Nie war ich so glücklich, wie in dem Moment, als ich das erste Mal mit dem Fahrrad zur Bibliothek fuhr. Ich hab endlich das Gefühl, wirklich zu studieren, nich nur so zu tun. Immer wenn ich aber nun grade entweder in der Fasanenstraße oder zuhause ankomme, macht mir das Fahrrad fahren grade richtig Spaß und ich dreh noch ein paar Extrarunden.
Unangenehme Tatsache des Tages, an der ich nicht schuld bin:
Nicht mal bei einer gepflegten Zigarettenpause hat man seine Ruhe. Ein Chemiestudent der FU mit einer schrecklichen Frisur und einer fürchterlich aufdringlichen Art entnahm anscheinend allein dem Zustand, dass ich weiblich bin, eine Brille trage und eine Zigarette rauche, dass ich sexuell frustriert und einsam bin und nichts dagegen hab, schön unsubtil angequatscht zu werden. Ich habe wirklich nichts, nichts, nichts, gegen Nerds, im Gegenteil, die gehören definitiv zu meinem Beuteschema, aber bitte merkt euch:
1. Es ist keine gute Idee, jemanden anzusprechen, während der jemand konzentriert eine seiner ersten Zigaretten dreht.
2. Es ist gar nicht charmant, "du studierst bestimmt irgendwas geisteswissenschaftliches" zu sagen.
3. Es ist noch viel uncharmanter, einem vorzuwerfen, in den Geisteswissenschaften kriege man die LPs hinterhergeschmissen.
4. Sich wegdrehen, um angestrengt in eine andere Richtung zu sehen, ist KEIN Zeichen von Interesse.
Unangenehme Tatsache des Tages, an der ich schuld bin:
Es passierte das oft vorgestellte und mit Schrecken erwartete: Ich tippe meinen Pin in die Schranktür, mache sie auf und: Mein Rucksack ist weg! Panik überfällt mich und so weiter, ich renne im Kreis und so, probier aber zum Glück alle Türen daneben aus und ja, es war ein anderer Schrank. Merke: Endlich mal anfangen, wieder nen neuen Pin zu benutzen!
Ich habe beute definitiv zu lang geschlafen. Es bringt nichts, um 12 ins Bett zu gehen, wenn man dann trotzdem bis 11 schläft. Heute morgen wieder Kill it Kid gehört. "Send me an Angel down" ist einer der besten Songs, die ich je gehört habe.

Die Heimkehrerin

Die Heimkehrerin


hat all ihren Schmuck vergessen. Nackt ist ihr Hals, den ein seiden-gemusterter Schal ziert. Sie trägt eine Jacke, die sie seit Jahren nicht getragen hat. Eine Freundin sagte, sie sähe aus, als hätte sie sie von ihrem großen Bruder geliehen.
Heute ist sie so groß, wie es ihr großer Bruder damals war. Und sieht doch immer noch verloren darin aus.
Der Busfahrer fragt die Heimkehrerin, wie alt sie ist. Sie zögert und ist irritiert. Einerseits, weil sie nicht genau weiß, warum er das fragt, andererseits, weil sie sich diese „20“, die da aus ihrem Mund heraus hüpft, in diesem Moment selbst nicht glaubt. (Der Busfahrer fragt, weil der Kinderpreis für Kinder bis 15 Jahre gilt).
Die Heimkehrerin geht vorbei
an der Änderungsschneiderei,
die nur bis 12:30 geöffnet hat,
außer montags und freitags.
Spaziert durch die Altstadt, die ihr nun so winzig erscheint, so winzig, dass sie den Eindruck hat, gleich würde jemand den Deckel des Schuhkartons öffnen und sie endlich wieder die Weiten der richtigen Stadt sehen lassen.
Sie geht den Berg hinauf,
zu der Bibliothek,
für die sie keinen Ausweis mehr besitzt.
Nachmittage
auf der Bank
unterm Herbstlaub.
Französische, skandinavische und deutsche Filme vorm verschneiten Fenster.
Für 25 Euro
im Jahr.
Sie geht in eine Drogerie und riecht an all den künstlichen Düften. Ihr Geruchssinn ist nicht der Beste und so kann sie kaum unterscheiden zwischen all den angeblich blumigen, nussigen, moschusartigen Nasenkitzlern mit den unterschiedlichen, aber doch immer gleichen Namen.
Style
Inspire
Pure Woman
Flower.
Sie besitzt drei Parfums. Für sie riecht eines edel, eines frisch und eines etwas männlich. Das ist für sie mehr als genug. Ersteres benutzt sie zum Ausgehen, zweiteres an optimistisch stimmenden Sonnentagen und letzteres, wenn sie beruflich ernst genommen werden will. Was für Stimmungen in ihrem Leben gibt es denn noch? Sie riecht an jedem Duft. Viele riechen sehr gediegen, damenhaft, auf keinen Fall nach ihr. Viele riechen auch ganz frisch. Doch ein Frisches hat sie ja schon. So viel Frische braucht kein Mensch.
Sie nimmt letztendlich eins mit einer roten Verpackung, das leicht nuttig riecht. Nuttig ist gut, das hat sie noch nicht.
Die Heimkehrerin schreibt. Sie schreibt in ihrem Lieblingscafe`, in dem sie immer geschrieben hat, wenn sie dort nicht ihre Freunde traf. (Die Freunde sind alle fort.)
Wenigstens etwas Ruhe und Schönheit ist geblieben. Edle Einfalt, stille Größe.
Sie kichert.
Sie hatte sich nach Ruhe, Natur und Geborgenheit gesehnt. Doch was soll sie nun damit anfangen?

Sie selbst ist nicht mehr ruhig
sie hat keine Ruhe mehr in sich
wo soll sie denn herkommen, diese Ruhe?
Hat keine Ruhe in sich
Überhaupt keine Ruhe
ist so unruhig
ist so beunruhigt
ist nicht beruhigt
will sich nicht beruhigen.

Sie selbst ist nicht mehr natürlich
will keine Natur
ist so unnatürlich
Natürlich geworden.
Sie braucht keine Geborgenheit
fühlt sich nicht geborgen
ist eine Seemannsbraut.

Sie lacht.
Auf zu neuen Ufern.
Die Heimkehrerin fährt heim. Sie kennt das, diese Tür, die muss sie immer leicht ran ziehen, um sie öffnen zu können. Sie tritt ein. Hier hat sie immer telefoniert, damals, als sie noch kein schnurloses Telefon hatten, was war das ihr dann peinlich, wenn sie Jungsgeschichten erzählte, mit 13, im Nachthemd, mit Snoopy darauf.
Die Heimkehrerin fühlt sich nicht mehr wohl, in ihrem Zimmer, es ist so schlauchförmig und
vor
dem quadratischen Schreibtisch
da
steht eine
Wand,
die hält
ihre Gedanken auf.
Lässt sie abprallen
und sich vor Schmerz taumelnd
im Kreis drehen.
Die Heimkehrerin
hat ihren Schmuck vergessen.
Nackt ist ihr Hals, den ein Rollkragen ziert.

Follower